Burschenschafter-Treffen in Algund: „Nicht kommentarlos hinnehmen“  

Die Antifa Meran bedauert, dass sich Teile der Algunder Gemeindeleitung noch immer nicht der Tragweite des Burschenschafter-Treffens bewusst sind. „Während sich Vizebürgermeisterin Ganner-Laimer und Verwalterin Pichler gegen die Veranstaltung im Vereinshaus aussprechen, zeigen andere leider nicht so viel Rückgrat“, heißt es in einer Aussendung.
 
„Expert:innen, Historiker:innen und lokale Gruppen haben sich klar gegen das Treffen positioniert. Jetzt ist die Gemeinde am Zug. Sollte sie entgegen jeder Vernunft am Vernetzungstreffen rechtsextremer Burschenschaften festhalten, werden wir das keinesfalls kommentarlos hinnehmen“, betont die Antifa Meran. 
 
Die Rechtsextremismus-Expert:innen Natascha Strobl und Andreas Peham aus Wien bestätigen die Kritik der Antifa Meran. Die Südtiroler Historiker Hans Heiss und Hannes Obermair und der Politologe Thomas Kobler betonen ebenfalls die Problematik der rechtsextremen Veranstaltung in Südtirol. Die Eine-Welt-Gruppe Algund und die antifaschistische Vereinigung ANPI fordern die Absage des Treffens. „Die Gemeinde kann sich nicht länger auf Unwissenheit hinausreden“, so die Antifa Meran.
 
Nachdem die Verantwortlichen in Algund seit einigen Wochen immer noch damit beschäftigt sind, ‚nachzulesen‘ und über die Deutsche Burschenschaft ‚zu recherchieren‘, hat die Antifa Meran als Entscheidungshilfe einige Kritikpunkte in einem Video zusammengefasst.

„Es wird nicht ausreichen, lediglich zu recherchieren, wer bei der Tagung referiert, ohne die Deutsche Burschenschaft als demokratiefeindliche Struktur zu erkennen: „Sie ist ein Sammelbecken aus völkischem Nationalismus, elitärer Ideologie und rechtsextremem Gedankengut, die organisatorisch teilweise von der AFD und FPÖ bis in die NPD und die Neonaziszene hineinreicht“, erklärt die Gruppe.
 
„Solche Treffen sind auch Vernetzungstreffen mit der örtlichen rechtsextremen Szene, daher muss die Gemeinde Algund hier Verantwortung und Haltung zeigen. Sollte das Treffen der Deutschen Burschenschaft nach der ganzen Debatte trotzdem stattfinden, kann und wird das nicht ohne Reaktion bleiben“, so die Antifa Meran.

Dialog mit Neonazis? | Update zum Burschenschafter-Treffen

Foto: Screenshot RAI Südtirol

Die Gruppe Antifa Meran kritisiert die Hinhaltetaktik des Algunder Bürgermeister Ulrich Gamper (SVP). Dieser hält weiterhin am Burschenschafter-Treffen im Thalguterhaus fest und ruft zum „Dialog“ auf. Statt Haltung zu zeigen, trägt er dadurch leider zur Verharmlosung von Rechtsextremismus und Neonazismus bei.

Zu den Hintergründen: Verbandstagung der Deutschen Burschenschaft in Algund

„Offensichtlich spielt BM Gamper auf Zeit, wenn er seit über zwei Wochen von der Problematik des Treffens weiß und immer noch Informationsbedarf sieht“, so die Antifa Meran. Gamper sollte lieber auf diejenigen hören, die sich wissenschaftlich mit diesen Gruppierungen auseinandersetzen. Forscher:innen sind sich einig, dass die Deutsche Burschenschaft Teil der extremen Rechten ist (Alexandra Kurth, Universität Gießen) und Neonazis nach Algund kommen werden (Andreas Peham, Wien).

„Die Gemeinde Algund trägt Verantwortung darüber, was in ihren Räumlichkeiten passiert. Wenn bei solchen Veranstaltungen, wie im letzten Jahr, Redner auftreten, die den Nationalsozialismus relativieren oder sogar verherrlichen, dann fällt das auf die Gemeinde und die Algunder Bevölkerung zurück“, erklärt die Antifa Meran.

Die Forderung des Bürgermeisters nach Dialog und Verständigung zeugt von fehlender Sensibilität für die Gefahren rechtsextremen Denkens: „Das einzige Gespräch, das diese Leute brauchen, ist das mit Sozialarbeitern und Deradikalisierungsexpertinnen.“

Burschenschafter sind teilweise mit der militanten, gewalttätigen Neonaziszene vernetzt. „Wenn Gamper zum Dialog mit den Burschenschaften aufruft und weiter an der Tagung im Thalguterhaus festhält, dann trägt er dazu bei, dass rechtsextremen Gedankengut in Südtirol Raum gegeben wird“, erklärt die Antifa Meran.

Aufs Schärfste zurückzuweisen ist zudem die Stellungnahme von Otto Mahlknecht (Freiheitliche) in einem Beitrag von RAI Südtirol, in dem er antifaschistische Positionen unbegründet diffamiert. Statt sich der Kritik zu stellen packt er die Hufeisentheorie aus: Nicht über das tatsächliche Anliegen wird gesprochen, nämlich rechtsextreme Burschenschafter und Neonazis in Südtirol zu beherbergen, sondern der Blick wird auf einen vermeintlichen ominösen Feind von links gerichtet.

Gleichzeitig werden in dem Beitrag falsche Behauptungen aufgestellt, die das Treffen legitimieren sollen. So heißt es in einem Fernsehbeitrag, der Journalist Kai Diekmann und der CSU-Politiker Peter Ramsauer seien Mitglieder der Burschenschaft Cimbria, die derzeit den Vorsitz der Deutschen Burschenschaft innehat. Alles halb so wild also? Richtig ist: Diekmann ist Mitglied der Burschenschaft Franconia, Ramsauer ist bei Franco-Bavaria. Ramsauer hat gegen die rechtsextremen Tendenzen der Deutschen Burschenschaft öffentlich protestiert, 2013 ist Franco-Bavaria aus der Deutschen Burschenschaft ausgetreten.

Hier wäre eine seriöse und angemessene Berichterstattung wünschenswert, die es schafft, Fakten von Polemiken zu trennen.

 

Nein zum rechtsextremen Burschenschafts-Treffen in Algund!

Es ist eines der größten Treffen völkisch-nationaler und rechtsextremer Burschenschaften im deutschsprachigen Raum – und soll in Algund stattfinden.

Vom 15. bis 17. September 2023 lädt der Dachverband Deutsche Burschenschaft ihre zum Großteil rechtsextremen Mitglieder zur „Verbandstagung“ nach Südtirol. Ort des dreitätigen Treffens: das Thalguterhaus der Gemeinde Algund. Das Rathaus und der Jugendtreff liegen direkt gegenüber, die Grundschule ist wenige hundert Meter entfernt. Der bis zu 500 Personen fassende Raiffeissensaal ist bereits angemietet.

Wir als Antifa Meran fordern die Leitung des Thalguterhauses sowie die Gemeinde Algund als Trägerin zum sofortigen Einlenken auf: „Rechtsextremismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben  – erst recht nicht in den Repräsentationsräumen einer Gemeinde.“

In Innsbruck versuchte die Deutsche Burschenschaft 2013, ihre Verbandstagung in Räumen der Stadt zu machen. Die ehemalige ÖVP-Bürgermeisterin damals: „Die Durchführung der Veranstaltung würde unseren Grundsätzen der offenen Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus widersprechen.“ Die Stadt kündigte den Vertrag, Tausende demonstrierten gegen Rechtsextremismus. Wir meinen: Algund soll dem Innsbrucker Beispiel folgen!

Wir rufen auch die Algunder Bevölkerung dazu auf, klar Stellung zu beziehen und den Rechtsextremen keine Übernachtungs- und Einkehrräume zu geben. Zivilgesellschaftliche und politische Gruppen sind aufgefordert, den Protest gegen die Veranstaltung mitzutragen.

Ankündigung in der Zeitschrift der Deutschen Burschenschaft (Quelle: Burschenschaftliche Blätter)


Hintergrundinformationen: Verbandstagung in Algund – um was geht es?

Vom 15. bis 17. September 2023 will die Deutsche Burschenschaft ihre jährliche Verbandstagung in Algund austragen. Mehrere hundert Mitglieder nehmen regelmäßig an diesen Treffen teil, zu denen Vortragende aus dem rechten und rechtsextremen Lager geladen werden.

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Internationales Netzwerk: Aufmärsche gegen Frauenrechte

Wie ausländische Organisationen mit Nähe zum Rechtsextremismus die Abtreibungsdebatte in Tirol anheizen – und bald auch in Südtirol aktiv sein könnten.

Samstag, 11. März in Innsbruck: Abtreibungsgegner:innen rufen zum „Marsch fürs Leben“ auf, fordern die weitere Einschränkung der Möglichkeiten für Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Mit Petitionen und Kundgebungen mobilisieren sie schon seit Monaten gegen die Einführung eines flächendeckenden, kostenfreien Angebots in Tirol. Der Vorstoß der neuen Landesregierung scheint den Antifeminist:innen Auftrieb zu geben: Stand im vergangenen Sommer noch rund zehn Personen vor dem Landhaus, waren es im September bereits über 60. Im Januar nahmen dann über 300 Menschen an der Demonstration „gegen öffentlich finanzierte Abtreibungen“ teil. Der Erfolg kommt nicht zufällig. Er ist das Ergebnis professioneller Agitation – und tatkräftiger, vor allem finanzieller Hilfe aus dem Ausland.

Jugend für Abtreibungsverbot

Organisiert wurde die Demo im Januar von der Gruppe Jugend für das Leben, einer 1989 in Linz gegründeten katholischen Jugendorganisation. Ihr Ziel: „Abtreibungen […] undenkbar zu machen“, wie es auf der Webseite heißt. Die Gruppierung zählt zu den aktivsten in Österreich und ist in den meisten Bundesländern aktiv, verfügt aber über eher lose Basisstrukturen. Auch die derzeitige Aufbauarbeit passiert Top down: Der Verein verfügt über eine Generalsekretärin und „Regionalkoordinatoren“, die für die Rekrutierung neuer Mitglieder und die Durchführung von Veranstaltungen zuständig sind.[2] Die Gruppe steht hinter dem Label „Marsch fürs Leben“, unter dem Antiabtreibungsmärsche veranstaltet werden, und bietet Workshops zum Thema „Abtreibung und Alternativen“ in Schulen an.

Ultrakonservative Netzwerke im Hintergrund

Mitveranstalter im Januar in Innsbruck war – wie auf den Transparenten unschwer erkennbar – die ultrakonservative Organisation CitizenGO, die seit einiger Zeit auch in Österreich aktiv ist. Die 2013 in Spanien gegründete Stiftung lobbyiert für konservative Werte und betreibt eine Petitionsplattform, auf der sich Petitionen gegen Feminismus, LGTBQ oder Sterbehilfe finden: „Feminismus ist eine Gefahr für Frauen. Der Feminismus … hat die Lage für alle verschlechtert“, heißt es etwa auf Facebook. Ziel ist es, so Beobachter:innen, „nationale Regierungen, Parlamente und internationale Institutionen“ zu beeinflussen. Dabei setzt die Stiftung vor allem auf Gruppen vom rechten Rand.

CitizenGO: „Internationaler Motor für Rechtsextremismus“

Wie interne Leaks gezeigt haben, hat CitizenGO nicht nur die rechtsextreme Partei Vox in Spanien groß gemacht. Die Organisation ist durch ihre finanziellen Zuwendungen laut der spanischen Zeitung Público ein „internationaler Motor für rechtsextreme Parteien und Organisationen“ und hat in 50 Ländern zu deren raschen Verbreitung und Konsolidierung beigetragen. In Österreich trat die Gruppe auch in Vorarlberg in Erscheinung und unterhält Verbindungen zur ÖVP. Weiterlesen

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ | Kommentar

Über neurechten Sprech und die Opferinszenierung des Harald Stauder.

Screenshot aus H. Stauders öffentlichem Facebook-Video-Post

Der SVP Bürgermeister von Lana Harald Stauder veröffentlicht am 22. Februar ein Video auf Facebook, in dem er endlich das auszusprechen wagt, worunter so viele „unterdrückte“ Bürger*innen Südtirols leiden: Sprachpolizei, Gutmenschen mit erhobenem Zeigefinger, „all jene, die überall Rassismus wittern“. Stauder spricht über vermeintliche Kostümverbote zu Fasching, angebliche Bäckerei-Boykotte aufgrund unangebrachter Krapfenmotive, voreilige Anschuldigungen. Und zwischen all diesen „Extremen“ inszeniert er sich perfekt als der „Moderate“, der einen kühlen Kopf bewahrt, während alle vor lauter „Rassismus-Imaginationen“ schon die Stirn glüht. Und vor allem verteidigt er eines: die Freiheit von Kindern!

Die Argumentationslinie ist bekannt: Es gibt die vermeintlichen Moralisten, die da draußen allen den Spaß verderben, die dafür sorgen, dass nichts mehr sagbar ist. Die Argumente kennen wir nicht nur von der AfD in Deutschland. Alle neuen rechten Strömungen haben dieses Mantra verinnerlicht. Es beschwört einen vermeintlichen Normalzustand herauf, der in Bedrohung steht (in der Forschung zur extremen Rechten nennt man dies auch Dekadenztheorie). Schuld an allem sind dann die Feminist:innen (Hilfe hier wird gegendert!), die Schwulen und Lesben, die Klimabewegung, die Antifa oder alle weiteren Gruppierungen, die vermeintlich die natürliche Ordnung durcheinander bringen.

In der Kommentarspalte unter dem Beitrag von Herr Stauder geschieht genau das, was immer passiert, wenn rechtspopulistisch Stimmung gemacht wird. Es tönt sinngemäß „genau“ und „das muss doch mal aufhören mit diesem Unfug“, „endlich sagts mal wer“. Dazwischen auch rassistische Kommentare und Bilder. Der Beitrag gefällt auch Gabriele Morandell. Als Volksanwältin leitet sie unter anderem auch die Antidiskriminierungsstelle.

Es zeigt sich: Die Aussagen des Bürgermeisters sind an diesem historischen Zeitpunkt nicht nur beschämend, sie sind gefährlich. Ja, es gibt Kritik an rassistischen Faschingskostümen. Und nur weil Stimmen dagegen lauter werden, heißt es nicht, dass die Kostüme nicht schon vorher rassistisch waren.

Aber diese Debatte berührt nur die Spitze des Eisbergs, wenn es um Rassismus geht. Und ich glaube viele Schwarze Menschen machen sich auch mehr Gedanken über rechten Terror als Faschingskostüme. Aber Rassismus ist nunmal ein System und da spielt beides mit rein. So zu tun, also würde Rassismus konstruiert, in dem er als Vorwurf in den Raum geworfen wird, spricht ab, dass er für viele Menschen eine bittere und lebensgefährliche Realität darstellt.

Und ja Herr Stauder, auch viele Verkleidungen, die an Fasching kritisiert werden, haben eine blutige Geschichte. „Blackfacing“ etwa, also sich das Gesicht schwarz anmalen, entstand in den amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Sklaverei. Das schwarz gemalte Gesicht als Witz hat seinen Ursprung in dem rassistischen Stereotyp „Jim Crow“, einem ebenso fröhlichen wie vermeintlich dummen Schwarzen. Das war vor 200 Jahren rassistisch und ist es heute.

Diese Kostüme mit Witzen über den Papst zu vergleichen ist nicht nur platt, sondern falsch: Der Papst hat sich seine Rolle gewählt, er genießt Macht und Ansehen. Ein Kostüm, welches sich auf Identitäten bezieht, welche sowohl historisch als auch gegenwärtig unterdrückt wurden, ist nicht nur falsch, sondern auch schwach. Man nennt es auch „nach unten treten“, Herr Stauder.

Als Bürgermeister sind sie zwar oben – aber in einem Jahrzehnt, in dem rassistischen Anschläge wie Hanau, Halle, Christchurch immer wieder Menschenleben kosten, in dem das NSU Trio in Deutschland Menschen, die nicht weiß sind, ermordet- in so einem Jahrzehnt nach unten zu treten, ist das allerletzte.

Lützerath-Aktivist: „Notwendige Reaktion auf unglaubliche Zerstörung“

Lützerath, ein kleines Dorf bei Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen: Schauplatz des heftigsten klimapolitischen Kampfes der letzten Jahre. Der Energiekonzern RWE will hier Braunkohle abbauen. Notwendig, meinen CDU und Grüne, die das Vorhaben abgenickt haben. Ein Wahnsinn angesichts der eskalierenden Klimakrise, finden Anwohner:innen, Klimaschützer:innen, kirchliche Verbände. Vor zwei Wochen begann die Räumung des Protestcamps durch Polizeihundertschaften.

Ein Aktivist aus Südtirol – nennen wir ihn Manu – war mittendrin dabei.

Was hat dich dazu bewogen, dich dem Protest anzuschließen?

Manu: Hab Lützi komplett zufällig entdeckt als ich mit Kumpels in der Gegend war und dann gab’s mehrere Kurzschlussentscheidungen von mir, die dazu geführt haben, dass ich jetzt am Ende fast ein Jahr dort gelebt habe. Es hat sich einfach alles so richtig angefühlt in Lützi! Wie wir zusammengelebt haben, wie wir zusammen viel ertragen mussten und wie wir zusammen gekämpft haben! Es war der perfekt Ort für meine Radikalisierung und ich hab so viel gelernt an diesem Ort.

Fünf Tage lang haben sich die Besetzer:innen der Räumung widersetzt – trotz Kälte, Nässe, Schlamm. Wie hast du die Räumung erlebt?

Manu: Für meine Bezugis [Menschen einer Bezugsgruppe] und mich war die Räumung relativ enstpannt, wir hatten ein gutes Baumhaus, genug zu essen, genug zu kiffen. Aber alles außerhalb des Baumhauses war im absoluten Ausnahmezustand, wir konnten uns noch in letzter Minute ins Baumhaus retten, nachdem wir viel zu schnell die komplette Bodenkontrolle verloren hatten, am ersten Tag der Räumung. Danach warteten und beobachten wir, was um uns herum passiert, wie innerhalb der nächsten Tage die Polizei eine Struktur nach der anderen räumte, bis sie in unserem Waldstück angekommen waren. Meine Bezugis und ich haben die Räumung durch das SEK [Sondereinheit der Polizei] auch alle gut überstanden, wurden einfach durch Lützi abgeführt und draußen abgesetzt. Viele andere mussten da deutlich mehr ertragen. Manche Menschen harrten stundenlang auf 20 Meter hohen Monopods [ein Stamm mit einer Plattform] oder Bäumen aus, in Regen, Kälte und Wind.

Die Polizei ist bei der Räumung sehr brutal vorgegangen, zahlreiche Aktivist:innen mussten mit Knochenbrüchen behandelt werden.

Manu: Die Polizeigewalt war massiv und allgegenwärtig. Und das, trotz des nahezu  friedlichen Protests! Und ich rede jetzt von der für alle sichtbaren Gewalt im Freien! Es wurde ständig, bei Menschenkettenblockaden und anderen Akionen, auf uns eingeprügelt. Es wurde gepeffert, sogar mit Pferden in die Menschen geritten! Auch Menschen, die schon am Boden lagen, wurden weiter von den Bullen geschlagen und getreten. Ich will mir gar nicht ausmalen, was in den besetzten Häusern passiert ist, wo die Presse keinen Zugang hatte.

Fast 40.000 Menschen aus ganz Europa haben am Samstag gegen die Räumung protestiert, zahlreiche Gruppen solidarisierten sich. Was hast du davon mitbekommen?

Manu: Zu dem Zeitpunkt war ich schon geräumt worden und war selbst unter den 40.000. Es war so viel geballte Energie und wir dachten echt eine Weile lang, wir schaffen es wieder rein nach Lützi! Wir haben schon die Letzten von uns in den Baumhäusern gesehen, die uns mit Feuerwerk begrüßten, aber das Polizeiaufgebot, die Zäune, es war zu viel. Alleine sechs Wasserwerfer habe ich an der Frontlinie gezählt. Und jeder Mensch, der es bis an den Zaun schaffte, wurde niedergeprügelt. Am Ende waren die 40.000 aber nicht so sehr spürbar, da nur wenige Tausend davon aktionsbereit waren und die meisten nur aus der Ferne beobachteten!

Die Räumung des „Hambi“, des Hambacher Forsts, vor vier Jahren konnte verhindert werden. Auch er sollte einer Kohlegrube weichen und wurde besetzt. Lützerath wurde geräumt. Eine Niederlage?

Manu: Für mich fühlt es sich auf jeden Fall danach an, mir und vielen Anderen wurde ein Freiraum genommen, den wir uns hart erkämpft hatten, der so wichtig war, um das schwarze Loch aufzuhalten. Was mich aber tröstet ist, dass dieser Ort viele Menschen zum Aktivismus gebracht hat, viele Menschen radikalisiert, als notwendige Reaktion auf diese unglaubliche Zerstörung, die wir jeden Tag gesehen haben.

Vor allem die Grünen werden stark kritisiert. Sie hätten einen faulen Kompromiss zugestimmt – obwohl es für Kompromisse zu spät ist. Hast du noch Vertrauen in die Politik?

Manu: Nein, ich hab kein Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Ich will Ökosozialismus, jetzt! Grüner Kapitalismus ist ein Illusion.

Manche meinen, die Klimabewegung sei zu zahm. Es hätte sich gezeigt, dass Appelle und Freitagsdemos nichts bewirkt haben. Braucht es mehr zivilen Ungehorsam wie in Lützerath?

Manu: Die Klimabewegung ist auf jeden Fall zu zahm, besonders auch in Lützi, einem Ort des hauptsächlich bürgerlichen Protests. Der Hambi wurde militant verteidigt und konnte nach Wochen des Durchhaltens gerettet werden. Wir waren hauptsächlich friedlich und wurden in wenigen Tagen geräumt. Auch ziviler Ungehorsam alleine reicht nicht, es braucht mehr Militanz!

Viele vor allem junge Leute haben den „Kampf um Lützi“ aufmerksam mitverfolgt. Was kann jede:r Einzelne tun?

Manu: Organisiert euch zusammen mit anderen Menschen, die auch was bewirken wollen! Oder schließt euch direkt anderen Aktivist*innen an! Geht zu FFF [Fridays for Future], Extinction Rebellion, der Antifa oder anderen Gruppen. Es gibt genug Organisationen mit verschiedenen Aktionslevels, da ist für jeden Menschen was dabei.

Die Räumung ist vorüber, die persönliche Aufarbeitung wird dich sicher noch länger beschäftigen. Bleibst du weiter aktiv?

Manu: Ja, ich bleibe weiter aktiv, habe die ganze Zeit repressionsfrei überstanden und quasi grade erst angefangen. Ich hoffe einfach, dass sich der Klimabewegung schnell immer mehr Menschen anschließen und wir irgendwann die Konzerne und Staaten besiegen können! Grade innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre können wir noch relativ viel gegen den Klimawandel tun, ich will diese Zeit unbedingt nutzen!

Fotos: Tim Wagner (c)

Weiterführende Links:

 

Selbstbestimmt gedenken – Commemorazione imposta | Gastbeitrag

DEU

Selbstbestimmt gedenken – Die Cadornastraße wurde umbenannt

Wir, einige Antifaschist*innen, haben gestern Abend die Cadorna Straße in Meran in „Elena Stern de Salvo“ Straße umbenannt. Cadorna war Kriegsverbrecher und Faschist. Er war Offizier im ersten Weltkrieg und machte sich für seine Grausamkeit – auch den eigenen Soldaten gegenüber – einen Namen.

Ein Foto der symbolischen Umbenennung der Cadornastraße

Cadorna unterstützte nach 1922 eifrig das faschistische Gewaltregime und wurde von Mussolini zum Marschall rehabilitiert, dem höchsten militärischen Rang in der faschistischen Armee. Dieser Teil seiner  Vergangenheit wird übrigens in wenigen Artikeln zur Umbenennungsdebatte überhaupt erwähnt.

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lina e. – zwei fäuste für die freiheit | kommentar

warum südtiroler neonazis nach ostdeutschland pilgern, rechtsextreme gewalt nicht mit sonntagsreden zurückgedrängt werden kann und lina e. freigelassen werden muss.

ein toter nazi, schwerverletzte auf beiden seiten und eine polizei, die faschos schützt: bei der „höttinger saalschlacht“ sprengten linke gruppen in innsbruck in tirol eine propagandaveranstaltung der nsdap. der aufmarsch der nazis war eine provokation, ein muskelspiel der von den erfolgen in deutschland berauschten ns-bewegung. die antwort der linken war militant. damals, im mai 1932, eine straftat. die bürgerliche presse: empört. heute, nachdem 6 millionen jüdinnen und juden und weitere millionen menschen aus allen ländern der welt tot sind – vergast, erschossen, verschlissen im totalen krieg der „rassen“ – eine mutige aktion. vor dem hintergrund dessen, was sich abzeichnete, eine weitsichtige.

und es zeichnete sich deutlich ab: bereits 1925 hatte hitler seine politischen pläne detailliert in „mein kampf“ dargelegt: die vertreibung der jüd:innen aus der deutschen „volksgemeinschaft“; die eroberung osteuropäischer länder; die unterdrückung der opposition im „führerstaat“. alle wussten, was passieren würde, sollten die nazis an die macht kommen. leid, tot, krieg in europa. auch die liberalen und konservativen parteien wussten das. aber lieber ein paar getötete juden als die „roten“ in der regierung. zur zeit der „höttinger saalschlacht“ stand hitler kurz vor der machtergreifung: am 30. januar 1933 wird er mächtigster mann im deutschen reich. sofort beginnt er, seine pläne in die tat umzusetzen.

prellungen am rücken, platzwunden im gesicht

der mitteldeutsche rundfunk (mdr) zeigt die geprellten rücken und geschlagenen gesichter von drei männern. die bilder sind nicht leicht zu ertragen. lina e. und drei weiteren aktivisten aus thüringen wird deswegen der prozess gemacht. es geht um lange jahre im gefängnis. einige vorwürfe scheinen konstruiert, anderes mag sich so zugetragen haben. die betroffenen: neonazis. auch das thematisiert der mdr. was er nicht zeigt: die faschistische mobilmachung in ostdeutschland und die rolle, die die drei männer dabei spielen.

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Hans Pircher, der „Vinschger Partisane“

Zehn Jahre seines Lebens wird der gebürtige Laaser im Gefängnis für seinen Widerstandskampf einsitzen. Wie ihm erging es auch anderen Südtiroler Partisanen. Ein Unrecht, worüber selbst heute noch kaum gesprochen wird.

Aus der Reihe: 75 Jahre Befreiung – Geschichten des Widerstands
Jelka – Drei rote Pfiffe (Teil 1)
Carlo Abbamagal – Ein Äthiopier in der italienischen Resistenza (Teil 2)

Lucía Sánchez Saornil – Freiheit und Widerstand! (Teil 3)

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Auf Demonstration folgt Repression – Südtirol

166 Jahre Haft für Aktivist*innen nach Protest am Brenner gegen die Festung Europas

Die jüngste Verurteilung von 63 Aktivist*innen aus Norditalien, welche 2016 gegen die
Errichtung einer Grenzsperre am Brenner demonstrierten, ist als Teil einer systematischen Repressionswelle gegen Linke und antifaschistische Gruppen zu verstehen und als solche abzulehnen. Während die Leben von Migrant*innen und Flüchtenden ein Spielball menschenfeindlicher Populisten geworden sind, wird militanter Protest dagegen aus dem Kontext gerissen, kriminalisiert und mit drakonischen Strafen sanktioniert. Insgesamt 166 Jahre Haft lautet das vorerst noch nicht rechtskräftige Urteil dieses jüngsten Verfahrens. Eine Berufung ist wahrscheinlich. 
 
Das Ganze kann als erschreckende Kontinuität von Einschüchterungsversuchen staatlicher Behörden gegen progressive Kräfte in Südtirol verstanden werden. So wurden erst kürzlich am 4. März 10 Aktivist*innen vom Richter Ivan Perathoner wegen einer antifaschistischen Kundgebung gegen die rechte Lega in Bozen zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Der vorgeschobene Grund: Die Kundgebung war nicht angemeldet. Einige Monate zuvor hat Perathoner ebenfalls Aktivist*innen zu Haftstrafen von zwei Monaten verurteilt. In diesem Fall wegen der Proteste gegen den Neofaschisten Roberto Fiore im Dezember 2018. Bei beiden Kundgebungen kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen. 
 
Währenddessen marschieren weiter Faschisten offen durch italienische Städte und greifen marginalisierte und als „anders“ markierte Personen offen an, wie in auch in den letzten Tagen am Covid-Testzentrum in Bozen. Marginalisierte Personen werden verfolgt und in Kriegsgebiete abgeschoben, Seenotretter*innen werden kriminalisiert weil sie nicht zuschauen wenn Migrant*innen und Flüchtende an den Außengrenzen Europas sterben. Wir würden hier viel lieber über die rassistische Brutalität an den Europäischen Grenzen reden und was wir als Gesellschaft besser machen können. Stattdessen müssen wir uns mit Repression gegen jene beschäftigen, die etwas gegen die Festung Europa unternehmen.  Darum möchten wir hier den Stimmen von Freund*innen aus Bozen Platz geben, die auf ihrer Facebook Seite „Bolzano Antifaschista“ folgenden Text zum Urteil veröffentlicht haben (aus dem italienischen übersetzt):  

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