Lützerath-Aktivist: „Notwendige Reaktion auf unglaubliche Zerstörung“

Lützerath, ein kleines Dorf bei Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen: Schauplatz des heftigsten klimapolitischen Kampfes der letzten Jahre. Der Energiekonzern RWE will hier Braunkohle abbauen. Notwendig, meinen CDU und Grüne, die das Vorhaben abgenickt haben. Ein Wahnsinn angesichts der eskalierenden Klimakrise, finden Anwohner:innen, Klimaschützer:innen, kirchliche Verbände. Vor zwei Wochen begann die Räumung des Protestcamps durch Polizeihundertschaften.

Ein Aktivist aus Südtirol – nennen wir ihn Manu – war mittendrin dabei.

Was hat dich dazu bewogen, dich dem Protest anzuschließen?

Manu: Hab Lützi komplett zufällig entdeckt als ich mit Kumpels in der Gegend war und dann gab’s mehrere Kurzschlussentscheidungen von mir, die dazu geführt haben, dass ich jetzt am Ende fast ein Jahr dort gelebt habe. Es hat sich einfach alles so richtig angefühlt in Lützi! Wie wir zusammengelebt haben, wie wir zusammen viel ertragen mussten und wie wir zusammen gekämpft haben! Es war der perfekt Ort für meine Radikalisierung und ich hab so viel gelernt an diesem Ort.

Fünf Tage lang haben sich die Besetzer:innen der Räumung widersetzt – trotz Kälte, Nässe, Schlamm. Wie hast du die Räumung erlebt?

Manu: Für meine Bezugis [Menschen einer Bezugsgruppe] und mich war die Räumung relativ enstpannt, wir hatten ein gutes Baumhaus, genug zu essen, genug zu kiffen. Aber alles außerhalb des Baumhauses war im absoluten Ausnahmezustand, wir konnten uns noch in letzter Minute ins Baumhaus retten, nachdem wir viel zu schnell die komplette Bodenkontrolle verloren hatten, am ersten Tag der Räumung. Danach warteten und beobachten wir, was um uns herum passiert, wie innerhalb der nächsten Tage die Polizei eine Struktur nach der anderen räumte, bis sie in unserem Waldstück angekommen waren. Meine Bezugis und ich haben die Räumung durch das SEK [Sondereinheit der Polizei] auch alle gut überstanden, wurden einfach durch Lützi abgeführt und draußen abgesetzt. Viele andere mussten da deutlich mehr ertragen. Manche Menschen harrten stundenlang auf 20 Meter hohen Monopods [ein Stamm mit einer Plattform] oder Bäumen aus, in Regen, Kälte und Wind.

Die Polizei ist bei der Räumung sehr brutal vorgegangen, zahlreiche Aktivist:innen mussten mit Knochenbrüchen behandelt werden.

Manu: Die Polizeigewalt war massiv und allgegenwärtig. Und das, trotz des nahezu  friedlichen Protests! Und ich rede jetzt von der für alle sichtbaren Gewalt im Freien! Es wurde ständig, bei Menschenkettenblockaden und anderen Akionen, auf uns eingeprügelt. Es wurde gepeffert, sogar mit Pferden in die Menschen geritten! Auch Menschen, die schon am Boden lagen, wurden weiter von den Bullen geschlagen und getreten. Ich will mir gar nicht ausmalen, was in den besetzten Häusern passiert ist, wo die Presse keinen Zugang hatte.

Fast 40.000 Menschen aus ganz Europa haben am Samstag gegen die Räumung protestiert, zahlreiche Gruppen solidarisierten sich. Was hast du davon mitbekommen?

Manu: Zu dem Zeitpunkt war ich schon geräumt worden und war selbst unter den 40.000. Es war so viel geballte Energie und wir dachten echt eine Weile lang, wir schaffen es wieder rein nach Lützi! Wir haben schon die Letzten von uns in den Baumhäusern gesehen, die uns mit Feuerwerk begrüßten, aber das Polizeiaufgebot, die Zäune, es war zu viel. Alleine sechs Wasserwerfer habe ich an der Frontlinie gezählt. Und jeder Mensch, der es bis an den Zaun schaffte, wurde niedergeprügelt. Am Ende waren die 40.000 aber nicht so sehr spürbar, da nur wenige Tausend davon aktionsbereit waren und die meisten nur aus der Ferne beobachteten!

Die Räumung des „Hambi“, des Hambacher Forsts, vor vier Jahren konnte verhindert werden. Auch er sollte einer Kohlegrube weichen und wurde besetzt. Lützerath wurde geräumt. Eine Niederlage?

Manu: Für mich fühlt es sich auf jeden Fall danach an, mir und vielen Anderen wurde ein Freiraum genommen, den wir uns hart erkämpft hatten, der so wichtig war, um das schwarze Loch aufzuhalten. Was mich aber tröstet ist, dass dieser Ort viele Menschen zum Aktivismus gebracht hat, viele Menschen radikalisiert, als notwendige Reaktion auf diese unglaubliche Zerstörung, die wir jeden Tag gesehen haben.

Vor allem die Grünen werden stark kritisiert. Sie hätten einen faulen Kompromiss zugestimmt – obwohl es für Kompromisse zu spät ist. Hast du noch Vertrauen in die Politik?

Manu: Nein, ich hab kein Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Ich will Ökosozialismus, jetzt! Grüner Kapitalismus ist ein Illusion.

Manche meinen, die Klimabewegung sei zu zahm. Es hätte sich gezeigt, dass Appelle und Freitagsdemos nichts bewirkt haben. Braucht es mehr zivilen Ungehorsam wie in Lützerath?

Manu: Die Klimabewegung ist auf jeden Fall zu zahm, besonders auch in Lützi, einem Ort des hauptsächlich bürgerlichen Protests. Der Hambi wurde militant verteidigt und konnte nach Wochen des Durchhaltens gerettet werden. Wir waren hauptsächlich friedlich und wurden in wenigen Tagen geräumt. Auch ziviler Ungehorsam alleine reicht nicht, es braucht mehr Militanz!

Viele vor allem junge Leute haben den „Kampf um Lützi“ aufmerksam mitverfolgt. Was kann jede:r Einzelne tun?

Manu: Organisiert euch zusammen mit anderen Menschen, die auch was bewirken wollen! Oder schließt euch direkt anderen Aktivist*innen an! Geht zu FFF [Fridays for Future], Extinction Rebellion, der Antifa oder anderen Gruppen. Es gibt genug Organisationen mit verschiedenen Aktionslevels, da ist für jeden Menschen was dabei.

Die Räumung ist vorüber, die persönliche Aufarbeitung wird dich sicher noch länger beschäftigen. Bleibst du weiter aktiv?

Manu: Ja, ich bleibe weiter aktiv, habe die ganze Zeit repressionsfrei überstanden und quasi grade erst angefangen. Ich hoffe einfach, dass sich der Klimabewegung schnell immer mehr Menschen anschließen und wir irgendwann die Konzerne und Staaten besiegen können! Grade innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre können wir noch relativ viel gegen den Klimawandel tun, ich will diese Zeit unbedingt nutzen!

Fotos: Tim Wagner (c)

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