Bozen: Politische Repression gegen Proteste

Platzverweise, Demonstrationsverbote, Anzeigen. In Bozen gibt es eine Welle der Repression gegen linke Proteste.

Am 17. Juli gab es eine Protestaktion der Insassen des Bozner Gefängnisses gegen die schlechten Haftbedingungen. Kürzlich brach dort die Krätze aus und dieses Jahr gab es in italienischen Gefängnissen bereits 58 Selbstmorde. Mit Töpfen wurde gegen die Gitterstäbe gehämmert, um sich außerhalb der Gefängnismauern Gehör zu verschaffen. Ein Protestbanner mit den Worten: „Mehr Würde, Stopp den Suiziden in den Gefängnissen. Wir sind nicht unser Urteil.“ wurde vor die Gitterstäbe gehängt.

Vor dem Gefängnis versammelte sich eine Gruppe solidarischer Menschen, die später wegen einer „nicht genehmigten Demonstration“ angezeigt wurden. Zudem erhielt ein Aktivist, der in der Nähe von Bozen wohnt, ein foglio di via (Platzverweis oder Stadtverbot) für zwei Jahre. Eine Nichtbeachtung kann bis zu eineinhalb Jahre Haft bedeuten. Laut dem Aktivisten enthält der Platzverweis falsche bzw. erfundene Informationen, die auch nach einer Bitte um Korrektur nicht geändert wurden.

Dies ist einer der vielen Versuche, linke, emanzipatorische Aktionen in Bozen zu kriminalisieren. Vor kurzem wurde auch zwei Personen aus dem Raum Brixen, die an einer Protestkundgebung gegen Abtreibungsgegner (Bewegung für das Leben) vor dem Krankenhaus in Bozen teilgenommen hatte, mit einem dreijährigen Stadtverbot bestraft. Die Repression traf in den letzten Monaten besonders Menschen in Bezug auf Palästina-solidarische und queerfeministische Proteste. Zudem wurde am 28. Juni die Pride-Demonstration „Priot“ verboten.

Ein Platzverweis oder Stadtverbot erfolgt nach einer eher schwammigen Interpretation der Polizei, z.B. wenn eine Person als „sozialer Gefährder“ eingestuft wird. Eine Möglichkeit der Betroffenen, Einspruch zu erheben, scheint es hier anscheinend nicht zu geben. Dabei reicht z.B. auch schon eine Anzeige, für die es noch keine Verurteilung gibt. Ein weiteres Mittel der Einschüchterung ist der avviso orale“, eine Art mündliche Verwarnung mit einer „Aufforderung zur Verhaltensänderung“ und der Androhung von Hausarrest. Auch hier kann die Verwarnung nach freiem Ermessen und willkürlich angewendet werden. Das riecht nach Polizeistaat.

Quelle: Salto

Der Anwalt Nicola Canestrini spricht mit Blick auf Bozen in einem Salto-Interview von „Repressionsmaßnahmen“ und betont, dass Grundrechte wie die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt werden.

Solche sogenannte “präventive Maßnahmen“ werden vom neuen Polizeiquästor Sartori nicht mehr nur gegen schwere Straftäter:innen, sondern auch gegen politische Aktivist:innen, Obdachlose und  Menschen ohne gültige Papiere eingesetzt.
Das ganze wird medial aufgebauscht, von Landesrätin Ulli Maier beklatscht und Zeitungen wie Dolomiten, Alto Adige und Konsorten haben wieder neue Schlagzeilen.

Wir zeigen uns solidarisch mit den Betroffenen. Gegen politische Einschüchterung und Repression. Lasst euch nicht unterkriegen!

 

Weiterführende Links:
– Prescrizioni, Cortei vietati, avvisi orali, fogli di via: il Questore di Bolzano perseguita chi dissente
Guerra ai poveri. Il senso del Questore per la legge
– Questore, sempre più misure preventive

Zur symbolischen Aktion der Landtags-Fraktionen

Heute traten Politiker:innen von SVP, Grüne, Civica, PD und Team K in Bozen vor dem Landtag zusammen. Bei einer symbolischen Aktion hinter einer „roten Linie“ distanzierten sie sich von den Aussagen von Jürgen Wirth Anderlan.

Es ist eine leere Geste: Ihre „Brandmauer“ ist ein Schweizer Käse, ihre „roten Linien“ sind Fähnchen im Wind.

Am selben Ort protestierten Tausende gegen eine Koalition der SVP mit den neofaschistischen Fratelli. Die SVP tat es trotzdem, aus Machtkalkül, und holte die Neofaschisten in die Landesregierung.

Der SVP-Landessekretär, Harald Stauder, hat den Aufruf zur Aktion mitverfasst. Im September war er auf Kuschelkurs mit rechtsextremen Burschenschaften und hätte sie gerne zu sich nach Lana geholt.

Dass auch Fratelli und Süd-Tiroler Freiheit zur Aktion eingeladen wurden, macht aus der Tragödie eine Farce: Die einen sind in Mussolinis Fußstapfen unterwegs, die anderen folgen der Kickl-FPÖ auf ihrem rechtsextremen Kurs.

Die STF-Funktionärin Melanie Mair etwa sympathisiert offen mit dem Rechtsextremist Martin Sellner.

Umso mehr gilt: Unsere rote Linie heißt Antifaschismus. Und der ist immer noch Anti-Nationalismus plus Handarbeit.

Gedenken heißt handeln: Corinna Tartarotti – unvergessen

Vor vierzig Jahren starb Corinna Tartarotti an den Folgen der Verletzungen, die sie durch einen Neonazi-Anschlag in München erlitten hatte. Sie hatte Südtiroler Wurzeln, ihr Vater Karl war aus Bozen.

Am 27. April 1984 erlag die 20-Jährige Corinna Tartarotti ihren schweren Verletzungen, die sie beim Brandanschlag der neonazistischen „Gruppe Ludwig“ am 7. Januar auf den Club Liverpool in München erlitten hatte.

Die Neonazi-Gruppe ermordete mindestens 15 Menschen in Italien und Deutschland, die nicht in ihr Weltbild passten.

15 Menschen wurden von der „Gruppe Ludwig“ ermordert

Am Abend des 7. Januar 1984 warfen die Neonazis Wolfgang Abel und Marco Furlan Benzinkanister in den Club „Liverpool“ in München.

Unter den Gästen und Angestellten brach Panik aus. Acht Menschen wurden verletzt, so auch Corinna Tartarotti, die an der Bar gearbeitet hatte.

Sie zog sich so schwere Verletzungen zu, dass sie ihnen drei Monate nach dem Anschlag, am 27. April 1984, erlag.

Die Neonazis griffen das Tanzlokal mit Benzinbomben an.

Gedenken heißt handeln. Rechtem Terror muss auf gesellschaftlicher Ebene der Nährboden entzogen werden.

Gleichzeitig sind wir mit jenen solidarisch, die zum Ziel rechter Täter:innen werden. Kein Vergeben – kein Vergessen.

Mehr dazu: ASAM – Antisexistische Aktion München
Fotoquellen: Privat/SZ, Martin Maurer

Rechtsextreme Gewalt im „Hexenkessel“: Übergriff auf Urlauber:innen

Gewalt, Hitler-Grüße und verbale Angriffe durch Neonazis – und Security-Mitarbeiter, die sich auf die Seite der Angreifer stellen: Diese Erfahrung machte eine Gruppe junger Sportler:innen aus Deutschland, die zum Ski-Urlaub nach Südtirol gekommen war.

Die Vorfälle ereigneten sich am Donnerstag, 28. März 2024, beim Skigebiet Klausberg im Ahrntal. Die rund 60 jungen Teilnehmer:innen einer „Skifreizeit“ aus Deutschland waren für eine Wintersportwoche ins Ahrntal gekommen. Im „Almpub Hexenkessel“ in Steinhaus wurden sie von einer Gruppe Rechtsextremer bedrängt und körperlich angegriffen. Der Aprés-Ski-Club befindet sich neben der Talstation des Skigebiets.

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Sellner und der Christchurch-Massenmörder

51 Menschen starben bei dem Anschlag 2019. Foto: Twitter

Martin Sellner soll Südtirol besuchen, geplant ist ein Treffen in kleiner Runde. Man rede mit jedem, so der Landtagsabgeordnete Jürgen Wirth Anderlan (Liste JWA). Nur: Sellner ist ein international vernetzter Rechtsextremist. Er unterhielt beispielsweise Kontakte zum Rechtsterrorist Brenton Tarrant, der vor fünf Jahre 51 Menschen erschossen hat.

Am 15. März 2019 erschießt der Rechtsextremist Brenton Tarrant in Christchurch in Neuseeland 51 Menschen. Sie hatten sich gerade zum Gebet versammelt, wie jeden Freitag. Dutzende werden verletzt. Das jüngste Todesopfer, Mucad, war 3 Jahre alt.

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Gegen Vertreibungs-Fantasien und rassistische Realpolitik

Die geplante Einladung des Neonazis Martin Sellner nach Südtirol ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die in den letzten Monaten für den Erhalt der Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Sellner ist ein umtriebiger Rechtsextremist, der in seiner Jugend Hakenkreuz-Aufkleber an Synagogen anbrachte und später die Identitäre Bewegung Österreichs anführte, eine „rechtsextreme Jugendorganisation mit faschistischen Anklängen“, wie das Dokumentationszentrum DÖW festhält. Heute wirbt er offen für „Remigration“.

Hinter „Remigration“ verbirgt sich ein brutaler Vertreibungsplan: Millionen Menschen sollen aus ihrer Heimat verjagt werden, um die faschistische Fantasie eines „reinen Europas“ zu verwirklichen (mehr dazu hier).

Vielen Südtiroler:innen dürfte das bekannt vorkommen: Wir haben schon mehrfach erlebt, was es bedeutet, wenn Rechte, Nazis und Faschisten ihre Vertreibungs-Fantasien in die Tat umsetzen: Die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Südtirol führte zur Option von 1939, die das Land zerrissen hat.

Die Offenheit von Jürgen Wirth Anderlan (Liste JWA) oder auch Melanie Mair (Süd-Tiroler Freiheit) – siehe hier und hier – für die „Remigrations“-Pläne von Sellner sind ein Alarmsignal. Es ist nichts anderes als eine Option 2.0, die sie herbeisehnen. Wieder sollen Menschen anhand ihrer Sprache, Hautfarbe oder Herkunft sortiert und zwangsweise und massenhaft vertrieben werden.

Offenbar geht ihnen die durch und durch rassistische Realpolitik der Parteien der „bürgerlichen Mitte“ nicht weit genug. Wir dürfen bei aller Empörung über rechte Wahnvorstellungen nicht die Politik der Abschottung und Ausgrenzung vergessen, die in der EU mittlerweile zum Alltag gehört. Rassismus ist keineswegs nur ein Problem von rechtsextremen Organisationen, sondern war schon immer auch in der Mitte der Gesellschaft verankert.

Angesichts der eskalierenden Klimakrise und der damit einhergehenden Migrationsbewegungen ist es endlich an der Zeit, sich der Verantwortung zu stellen: Sichere Fluchtrouten müssen organisiert und begleitet werden, um dem Sterben an den EU-Außengrenzen entgegenzuwirken.

Wer von einem Südtirol ohne sogenannte „Ausländer“ träumt, jagt einem Phantom hinterher, das es nie gegeben hat. Treten wir gemeinsam der rechtsextremen Blut-und-Boden-Ideologie entgegen, egal ob sie sich in gekämmten Seitenscheitel oder langem Vollbart präsentiert.

Ein Pakt mit dem Kapital

Oder: Wieso die neue Landesregierung einen Anfang vom Ende darstellt

Der Bruch ist vollzogen. Im Januar hat sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) auf ein Rechts-Rechts-Rechts Bündnis eingelassen. Wider dem breitem gesellschaftlichen Widerstand, wider der Kritik aus dem Landtag, wider der düsteren Prognosen vieler wichtiger Stimmen im Lande. 

Es schockiert einerseits, überraschen tut es nicht. Wir leben im Zeitalter der Technokraten, der Entpolitisierung der Politik, der neoliberalen Aushöhlung des Sozialstaates. Es ist eine Politik im Sinne des Pragmatismus oder der Idee, dass es ideologie- und interessenfreie Wege gibt, Zukunft zu gestalten. Links, Rechts, Mitte, egal. Es geht nicht um soziale Werte, gesellschaftliche Visionen.

Es geht um Macht und Wirtschaftswachstum. Und die SVP arbeitet in diesem Sinne mit denen zusammen, die historisch und gegenwärtig für Menschenfeindlichkeit und Spaltung stehen.

Damit reiht sie sich ein in eine neoliberale Kultur, in der Phrasen nach Umverteilung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu Worthülsen werden, die sich marktkonform füllen lassen. Eine Kultur, in der sowohl Naturressourcen, als auch Menschenleben zur Warenform werden.

Und die Allianz wird es schaffen, den Rechtsruck in Südtirol noch weiter voranzutreiben, die sozial Schwachen, Migrant:innen, Arbeitslose für die sozialen Krisen verantwortlich machen, an denen eigentlich der Kapitalismus und seine vielen Ausformungen wie der Massentourismus und die Umweltzerstörung Schuld sind. Sie wird dazu führen, dass noch mehr nach unten getreten wird, anstatt soziale Lösungen im miteinander zu suchen.

Die SVP sendet ein klares Signal: Werte zählen nicht, die politische Haltung ist egal und man arbeitet mit allen zusammen, solange dasselbe Ziel verfolgt wird, koste es was es wolle. Die Politik geht mit Beispiel voran: Es gilt das Prinzip des Überleben des Stärkeren: Wer auf der Strecke bleibt ist selbst schuld. Wer nicht schwimmen kann geht unter.

Und der Opportunist nutzt darin jede Chance, um sich auf den Schultern anderer über Wasser zu halten.

Geheimplan: Hans-Christian Limmer, Südtirol und der NSU

AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Einer der Organisatoren: Hans-Christian Limmer. 2007 fand in seinem Haus in Südtirol ein rechtsextremes Treffen statt. Mit dabei: Ralf Wohlleben, NSU-Unterstützer.

Update am 17.1.2024

Schildhof Baumkirch in St. Martin: Ort des Neonazi-Treffens 2007. Quelle: Wikipedia

Regelmäßige rechtsextreme Vernetzungstreffen

September 2007: Die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) lädt zur „Andreas-Hofer-Wander- und Vortragswoche“ ins Passeiertal.

Geplant sind Wanderungen zu Stellungen aus dem 1. Weltkrieg, Vorträge und Vernetzung. Geladen sind bekannte Referenten aus der rechtsextremen Szene wie Otto Scrinzi und Richard Melisch.

Es ist das fünfte Treffen dieser jährlichen Veranstaltungsreihe. Im Vorjahr fand es in See am Feld in Kärnten statt, auch im nächsten Jahr wurde wieder an den Schildhof ins Passeiertal eingeladen.

Drei Jahre später lädt die JLO an den Packer Stausee bei Graz. Der Standard spricht von einer „elitären Schulungsveranstaltung“. Über Orte und Inhalte der anderen Treffen ist wenig bekannt.

Wer ist die Junge Landsmannschaft?

Wer im Netz nach der JLO sucht, findet nur ältere Artikel, der Internetauftritt ist stillgelegt.

Das war damals, 2007, noch anders: Die JLO war zu dem Zeitpunkt eine in der BRD einflussreiche rechtsextreme Organisation, die jahrelang Europas größte Nazi-Demo organisierte – den Dresdner Trauermmarsch mit über 6.000 Teilnehmer:innen.

Die Gruppe verstand sich als „Nachwuchsorganisation der Vertriebenen„. Bekanntlich wurden zum Ende des Zweiten Weltkriegs rund zwei Millionen Menschen aus der ehemaligen Provinz Ostpreußen vertrieben – für Rechtsextreme seitdem ein willkommenes Agitationsfeld zwischen großdeutscher Nostalgie und Opferkult.

Webseite der JLO 2011. Quelle: Internet Archive

Die Gastgeber: Familie Limmer

Der Ort des einwöchigen Treffens – der Bauernhof „Schildhof Baumkirch“, Baumkirchweg 1 in St. Martin, unweit des Luxusresorts Quellenhof – ist kein zufälliger: Das historische Gebäude aus dem 14. Jahrhundert gehört der wohlhabenden Familie Limmer aus Meerbusch in Nordrhein-Westfahlen.

Gisela und Ludwig Limmer, 2005 Quelle: Kerstin Köditz

Gisela Limmer mit Altnazi Herrmann 2008. Quelle: Gamma 186, 2010

Ludwig Limmer (gest. 2006) war Architekt, Gisela Limmer von Massow Schauspielerin. Beide waren bzw. sind in der rechtsextremen Szene gut vernetzt.

2005 werden bei ihm bei einer Hausdurchsuchung holocaustleugnende Unterlagen gefunden, sie wiederum plfegt gute Kontakte u. a. zur JLO. Fotos zeigen sie im August 2008 mit Altnazi Hajo Herrmann, einem ehemaligen Vertrauten von Herrmann Göring.

Das Haus in Südtirol soll laut Staatspolizei Gisela Limmer und ihren beiden Söhnen, Martin und Hans-Christian gehören (was Limmer heute dementiert).

Die Brüder sind in der deutschen rechtsextremen Szene als „treue Kameraden“ bekannt, so die Staatspolizei damals. Ihre Autos wurden laut Staatspolizei beim Treffen am Schildhof gesichtet.

Bericht der Staatspolizei 2007. Quelle: Kerstin Köditz

Mit am Tisch: Rechtsextreme Terroristen

Brisant ist das Treffen jedoch auch aufgrund der Teilnehmer: Laut Informationen der Staatspolizei saßen im Schildhof neben Altnazis und NPD-Funktionären auch Südtiroler Neonazis mit am Tisch.

Mit dabei waren Vertreter des Südtiroler Kameradschaftsringes (SKR) und der Meraner Sektion der Gruppe Skinheads Tirol, die zum Neonazi-Netzwerk Blood & Honour zählten.

Auch mit dabei: Ralf Wohlleben, NPD. Jahrelang hatte er die rechtsextreme Terrorgruppe NSU unterstützt und die Mordwaffe – eine tschechische Ceska-Pistole – besorgt. Zu dem Zeitpunkt, als Wohlleben im Schildhof saß, hatte der NSU damit zehn Menschen getötet.

Ralf Wohlleben 2003. Quelle: Wikipedia

Mehrfach nahm Wohlleben an Treffen der Skinheads Tirol teil. Später wird bekannt, dass die Gruppe im Jahr 2008 in die Planung von Terroranschläge auf migrantische Läden in Südtirol involviert war.

Drohte ein NSU Südtirol? Die Verhaftungswelle im selben Jahr durchkreuzte die Pläne. Und Wohlleben? Der übergibt zwei Verhafteten im März 2009 rund 20.000 Euro, vermutlich für die Prozesskosten.

17 Jahre später: Geheimplan gegen Deutschland

Die Strafen für die Südtiroler Neonazis fallen milde aus, alle werden auf Bewährung ausgesetzt.

Wohlleben wird 2011 verhaftet und 2018 als NSU-Unterstützer wegen Beihilfe zum Mord (in neun Fällen) zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Im Januar 2024 wird bekannt, dass Hans-Christian Limmer ein rechtsextremes Geheimtreffen mitorganisiert hat, bei dem Pläne zur Massendeportation von Menschen aus der BRD besprochen wurden. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

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Schützenbund-Referent als Festredner beim Burschenschafter-Treffen

Demanega (links) hält die Festrede beim Burschenschafter-Treffen (Bildquelle: BB 3/2023)

Ein Mitglied der Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes hielt die Festrede beim rechtsextremen Burschenschafter-Treffen in Marling. Der Schützenbund hatte im Vorfeld jede Zusammenarbeit bestritten. Die Teilnahme wurde bekannt, da den Burschenschaftern ein peinlicher Fehler unterlief.

Die Festrede bei der Verbandstagung der Deutschen Burschenschaft im September 2023 hielt Michael Demanega, Referent für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit des Südtiroler Schützenbundes.

Damit ist er auch Mitglied der Bundesleitung der Schützen.

Demanega ist auch Mitglied der Bundesleitung der Schützen (Bildquelle: SSB)

Seine Teilnahme blieb geheim – bis er mit Foto und Namen in den „Burschenschaftlichen Blättern“ (3/2023) auftauchte.

Beim Artikel zur Veranstaltung saßen die Copy-Paste-Finger wohl zu locker: Abgedruckt wurden nicht nur eine fehlerhafte Bildunterschrift, sondern auch der korrigierende Kommentar dazu.

Dort steht: Auf dem Foto ist Demanega abgebildet, dieser „bittet aber, seinen Namen nicht zu nennen“.

In der Bildunterschrift wird Demanega namentlich erwähnt (Bildquelle: BB 3/2023).

Seine Festrede war von großdeutschem Nationalismus geprägt: „In dieser markanten Bergkulisse sollte unser deutsches Volk .. seinen südlichsten Ausleger finden“, schwadronierte er vor rund 70 Teilnehmer des Treffens.

Und: Die Südtiroler:innen würden sich „durch vollkommene Anbiederung an den Mainstream“ selbst „hängen“, es brauche mehr „Volkstumskampf“.

Bekanntlich war die Verbandstagung der von Rechtsextremen dominierten Deutschen Burschenschaft in Marling dank der Proteste aus der Bevölkerung ein Fiasko. Ein weiteres Schützenmitglied – Melanie Mair – nahm als Gast an der Veranstaltung teil.

Demanega ist Mitglied der Burschenschaft Teutonia Wien: Die Rechtsextremismus-Expert:innen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ordnen die Burschenschaft dem rechtsextremen Spektrum zu und stellt eine Nähe zum Neonazismus fest, da sie von Revisionismus, Nazi-Apologie, Antisemitismus und Rassismus geprägt ist.

Im Juni 2023 organisierte Demanega das „Teutonentreffen“ seiner Burschenschaft in Salurn. Nach Besuchen der „Dürer-Schenke“ und der Haderburg fand der Festabend im Restaurant der Lederhosenschneiderei „Amalia Pernter“ statt.

Demanega war Vorsitzender der Freiheitlichen und trat zwei Mal erfolglos zu Landtagswahlen an.

Burggrafenamt: Polizist verharmlost Holocaust

NS-Verharmlosung auf Facebook (Bildquelle: Facebook, rote Striche: Ergänzung d. Verf.)

Neuer rechtsextremer Fall bei den sogenannten „Sicherheitskräften“ in Südtirol: Ein Gemeindepolizist aus dem Burggrafenamt verbreitete in Sozialen Netzwerken Bildmaterial, das den Holocaust und die NS-Zeit verharmlost.

Erst Mitte Dezember war bekannt geworden, dass ein 46-jähriger Carabinieri-Beamter aus dem Grödental über Jahre hinweg bei einem schwedischen Internetversand rechtsextreme und neonazistische Musik-CDs gekauft hatte: Hakenkreuze auf den Covern, Naziverehrung in den Texten. Nun also das Burggrafenamt, wie wir Dank eines Hinweises aus der Bevölkerung erfahren haben.

Bekanntlich hat Deutschland seit Jahren mit den Folgen der kaputtgesparten, privatisierten Deutschen Bahn zu kämpfen: Zugausfälle, Verspätungen und marode Infrastruktur sorgen gerade im Winter für Unmut.

Es ist Sonntag, der 17. Dezember, kurz nach 18 Uhr, als der Burggräfler auf „Teilen“ drückt und ein Bild verschickt. Ein Kommentar zum Bahnchaos in der BRD soll es sein, ein Witz, wird er heute sagen, vielleicht „bled“, in jedem Fall „harmlos“.

Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt einen Mann in Uniform: auf der Kappe der Reichsadler, am Kragen das Schwarze Kreuz der Wehrmacht, in der rechten Bildecke ein Totenkopf, der an jenen der SS erinnert.

Auf dem Bild ist Erwin Rommel, Generalfeldmarschall der Wehrmacht unter Adolf Hitler, berühmt für sein militärisches Geschick.

Um Rommel geht es aber nicht direkt, er steht beispielhaft für einen Vertreter Nazi-Deutschlands. Denn auf dem Bild steht:

„Unsere Zugführer streiken nie!!!“

Zugführer hat hier eine doppelte Bedeutung: Ein „Zug“ ist eine Teileinheit von Militär, Polizei oder Feuerwehr, der militärische Zugführer etwa führt zwölf bis 60 Soldaten an. Zudem ist ein Zugführer der für die Sicherheit eines Eisenbahn-Zuges verantwortliche Mitarbeiter.

Das Bild legt also einerseits nahe, dass die Wehrmachtssoldaten besonders pflichtbewusst gewesen seien. Das ist NS-Propaganda. Auch dort gab es Fahnenflucht, 400.000 Soldaten der Wehrmacht desertierten, bis zu 20.000 von ihnen wurden deswegen hingerichtet.

Andererseits spielt das Bild an die Deportations-Züge der Nazis an, mit denen Hunderttausende Jüdinnen und Juden von den Nazis in die Vernichtungslager transportiert wurden.

Es stimmt: Deutsche Züge rollten pausenlos nach Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Sobibor und Belzec. Entsprechend wurde „[d]er Vieh- oder Eisenbahnwaggon […] eines der bekanntesten Symbole des Holocaust„, betont die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Ja, das Bild ist ein Witz. Es ist aber auch eine beispiellose Verharmlosung des Völkermords an den europäischen Jüdinnen und Juden. Gleichzeitig wird die Botschaft vermittelt, dass es damals – unter den Nazis – besser gewesen sei als heute.

Auch das ist Nazi-Propaganda: Denn dass die Zugführer:innen unter dem NS-Regime nicht streikten lag nicht an den paradiesischen Verkehrszuständen, sondern an der blutigen Zerschlagung der Gewerkschaften und der Abschaffung des Streikrechtes. In der „deutschen Volksgemeinschaft“ durfte es keine Klassenkämpfe geben.

Der Mann, der das Bild an einem Sonntagabend über Facebook mit seinen 716 Kontakten teilte, ist als Polizist in der Gemeinde Schenna tätig.

Bereits in der Vergangenheit fiel er mit rassistischen Postings auf der Socia-Media-Plattform auf. So verbreitete er mehrfach Nachrichten, in denen geflüchtete Personen als Sozialbetrüger dargestellt werden. In anderen Beiträgen werden Politiker:innen als „Flaschen“ bezeichnet und Falschparker:innen Faustschläge ins Gesicht angedroht.

Auch wenn die Botschaften in der Form von Witzen daherkommen – sie geben Einblick in das Denken dieser Person. Und das ist mehr als bedenklich.

Die beiden nun öffentlich gewordenen Fälle im Grödental und Burggrafenamt sind nur die Spitze des Eisbergs. Rechtsextreme und rassistische Einstellungen sind in der Polizei weit verbreitet. Klar ist, dass es sich dabei nicht um „Einzelfälle“, sondern um ein strukturelles Problem handelt.

Mit gravierenden Konsequenzen, die sich etwa bei permanenter Überwachung migrantischer Communities (Racial Profiling) oder dem Wegsehen bzw. Vertuschen rechtsextremer Straftaten zeigen. So flogen die Nazi-Terroristen des NSU auch deshalb nicht auf, weil die Polizei den Opfern Verstrickungen mit der türkischen Mafia und dem Drogenhandel unterstellte.

Im äußersten Fall sind diese Personen innerhalb des Polizeiapparats das personelle Reservoir faschistoider Umsturzpläne, wie sie etwa in der BRD vom 2018 aufgedeckten Hannibal-Netzwerk verfolgt wurden.

Wie so oft will dann aber niemand etwas gewusst haben.