Midgard-Leak: Was Südtiroler:innen im schwedischen Neonazi-Shop kauften

Auch drei Personen aus Südtirol haben bei dem rechtsextremen Versandshop „Midgard“ bestellt – das geht aus den kürzlich veröffentlichten Kund:innendaten hervor. Unter ihnen ist mutmaßlich auch ein Carabinieri-Beamter.

Vor Kurzem wurde der rechtsextreme Internetversand „Midgard“, der von Schweden aus operiert, gehackt. Nun wurden 20.000 Bestelldaten von 2017 bis 2022 auf der Internetseite midgard.antifa.se veröffentlicht, wie die Antifa Stockholm berichete.

Auch drei Personen aus Südtirol finden sich mit Adresse, E-Mail-Adresse und Telefonnummer in der Liste – inklusive Details zu den Bestellungen. Sie konnten durch die Ortsangaben (Ortisei, Valles, Moos in Passeier) rasch ausfindig gemacht werden.

91 Artikel aus dem Neonazi-Shop gingen nach Urtijëi/St. Ulrich (Bildquelle: Discogs)

Am häufigsten kaufte ein Grödner aus Urtijëi/St. Ulrich beim rechtsextremen Internetversand ein. Ganze 91 CDs ließ er sich zwischen 2018 und 2022 in 15 Bestellungen liefern. Vermutlich sind es noch mehr, da von 2023 keine Daten vorliegen. Bei CD-Preisen um die 15 Euro kommen so schnell 1.400 Euro zusammen.

Das Brisante daran: Es soll sich dabei um einen in Gröden stationierten Carabinieri-Beamten handeln. Sein Name tauchte bereits 2015 auf einer geleakten Kund:innenliste des neonazistischen OPOS-Versands auf. Er wird als schweigsam und unauffällig beschrieben.

Seine Profilbilder auf Instagram und Telegram zeigen das Gemälde „Tors strid med jättarna“ (deutsch: Thor kämpft mit den Riesen) des Malers Mårten Eskil Winge von 1872. Die Darstellung ist bei nordisch-germanisch orientierten Rechtsextremen beliebt, da der germanische Gott Thor ein Sonnenrad bzw. Hakenkreuz am Gürtel trägt.

Das Instagram-Profil des Grödners: Thor mit Hakenkreuz (Bildquelle: Instagram/Wikipedia)

Die Bands, deren Musik er kaufte, sind allesamt der rechtsextremen Szene zuzuordnen, darunter Rechtsrock, National Socialist Hardcore (NSHC) und National Socialist Black Metal (NSBM). Hier nur einige Beispiele: Seine erste Bestellung im April 2018 enthielt zwei Alben der Schweizer Neonazi-Band „Erschiessungskommando“, von denen eines für Schlagzeilen gesorgt hatte, da in einem Lied zum Mord gegen eine Politikerin und ihre Familie aufgerufen wird.

Im April 2022 erwarb er wiederum zwei CDs von „Skrewdriver“, der wohl bekanntesten europäischen Neonazi-Band. Darauf findet sich das Lied „Stolz“, in dem es heißt:

„Der Stolz deiner Nation, der Stolz deiner Rasse / Verlier es nicht, sonst bist du verloren.“

Im Juni desselben Jahres bestellte der Mann zwei Alben der anonymen Band „Zillertaler Türkenjäger“, die in Deutschland wegen Volksverhetzung verboten wurden. Auf dem Cover ist eine Fotomontage zu sehen, die VIVA-Moderator Mola Adebisi, Farin Urlaub (Die Ärzte) und Campino (Toten Hosen) an einem Galgen zeigt. Das Verbot erfolgte auch wegen Lieder wie „Das Reich“, in dem ganz offen die NS-Zeit verherrlicht wird:

„Eine große Zeit fürwahr / Die SS und die SA / Es war alles wunderbar.“

Aber auch auf den ersten Blick sichtbare NS-Bezüge schreckten ihn nicht ab: Auf dem Cover des Albums „Vom Blute rein“ der deutschen Hardrock-Band „Stahlhelm“ sind SS-Soldaten zu sehen, auf „Unter blutrotem Banner“ von „Projekt 8.8“ wehende Hakenkreuz-Fahnen (siehe oben).

Urtijëi/St. Ulrich, 2023: Rechtsextremismus, Mythologie, Verschwörung (Bildquelle: Facebook)

Der Midgard-Kunde ist in Urtijëi/St. Ulrich mit seinen Ansichten nicht allein, wie das obige Foto zeigt. In den letzten Jahren hat sich dort eine Gruppe etabliert, die sich ideologisch zwischen Rechtsextremismus, nordischer Mythologie und rechten Verschwörungstheorien (Stichwort: Vril-Gesellschaft) bewegt. Die Mitglieder sind um die 30 Jahre alt und bezeichnen sich als „Berserker“, d. h. nordische Krieger, und waren in der Vergangenheit laut Aussagen einer im Dorf wohnhaften Person in gewalttätige Übergriffe involviert.

Die Gruppe ist stark maskulinistisch und rassistisch geprägt und war an Trinkgelagen, dem Besuch rechter Konzerte sowie der Abhaltung von winterlichen Sonnwendfeiern beteiligt. Zur örtlichen Schützenkompanie bestehen gute Kontakte, ein führendes Schützen-Mitglied ist bekannt für seine Faszination für die nordische Mythologie und hat seinem Kind den Namen einer germanischen Gottheit gegeben.

Musik von Stahlgewitter, Landser und Co. ging ins Passeiertal (Bildquelle: Discogs)

Zweiter Schauplatz – Moos in Passeier. Die Rechtsrock-Szenegröße „Stahlgewitter“ hat auch dort Fans. Zwei CDs der Band wurden im April 2022 bei dem schwedischen Internetversand bestellt, eines davon heißt „Auftrag Deutsches Reich“. Das gleichnamige Lied beginnt mit sechs „Heil“-Rufen und gipfelt in der Zeile „Heil dir, Germania“.

Die Passeirerin kaufte zudem zwei Compilations, also Alben mit Musikstücken verschiedener rechtsextremer Bands. Darauf sind Lieder wie „Stolzer Germane“ (Fylgien), „White Power“ (HKL/Nothung) und „Arisches Kind“ (Landser), in dem es heißt:

„Nicht alle Menschen die sind gut / Gut ist immer nur / ein Mensch mit reinem Blut.“

Die Band war eine der bekanntesten Neonazi-Bands in Deutschland, ihre Mitglieder wurden 2003 wegen Bildung einer kriminiellen Vereinigung verurteilt. Vielleicht waren die rechtsextremen CDs aber auch für ihren Partner bestimmt, der sich seine Gesinnung tätowieren ließ: Seine rechte Schulter wird von Hakenkreuz und Schwarzer Sonne geschmückt.

Eine Person aus Vals in der Gemeinde Mühlbach wiederum bestellte im September 2018 in Schweden neben „Blood & Honour“-Material ein Buch über den US-amerikanischen Neonazi Richard Scutari, Gründungsmitglied in der rechtsextremen Terrorgruppe „The Order“, die 1984 einen jüdischen Moderator ermordete.

Die jetzt veröffentlichten Bestelldaten sind nur die Spitze des Eisbergs: Es gibt dutzende Internetshops, die sich auf rechtsextreme Musik, Merchandise und Kleidung spezialisiert haben. Oft – wie auch im Fall von „Midgard“ – kommen die Betreiber selbst aus der Neonazi-Szene. Die Bestellungen geben Einblick in ein Marktsegment, in dem Millionen umgesetzt werden. Gleichzeitig ist Musik oft die „Einstiegsdroge“ in die Szene und hilft dabei, neue Mitglieder zu rekrutieren.

Verbote helfen da oft wenig – Antifaschismus bleibt Handarbeit, und das heißt „denen nachhaltig auf die Nerven zu gehen, die versuchen, sich als Konservative zu verkleiden, aber in Wirklichkeit für Rassismus, Nationalismus und völkisches Denken stehen“, wie es Margarete Stokowski einmal formuliert hat.