Die Spitze des Eisbergs

In den Medien war in den letzten Tagen viel vom Geheimdienstbericht und der dort erwähnten Neonazi-Gefahr in Südtirol die Rede. Konkret geht es um die Erwähnung Südtirols im jährlichen Bericht an das Parlament („Relazione al Parlamento 2018“) des italienischen Inlandsgeheimdienstes „Sistema di informazione per la sicurezza della Repubblica“, der zunächst online kursierte und seit gestern auf der offiziellen Website einsehbar ist. Hier der Auszug, der auf Südtirol Beug nimmt:Wer dies liest, kann über die Reaktionen nur den Kopf schütteln.

  • Ausführlich über den Medienhype berichtet hat die Neue Südtiroler Tageszeitung (siehe unten). Deren Darstellung kann im Grunde zugestimmt werden: Aus einer Mücke wird ein Elefant gemacht. Die paar Zeilen im Geheimdienstbericht fassen nur das zusammen, was lange schon bekannt ist. Dass es in Südtirol eine rege Neonazi-Szene gibt, die gute Kontakte in den deutschsprachigen Raum pflegen.
  • Widersprochen werden muss jedoch jenen zitierten Aussagen des NSTZ-Artikels, die in eine verharmlosende Richtung umschlagen: Die Aussage aus der Quästur, dass das „Phänomen unter Kontrolle“ sei, wird dem Problem in keinster Weise gerecht. Die NSU-Mordserie vor den Augen des hochgerüsteten deutschen Polizei- und Verfassungsschutzapparats verdeutlicht, dass eine Neonazi-Szene zu keiner Zeit „unter Kontrolle“ sein kann. Kleine rechtsextreme Gruppen und Einzelpersonen können jederzeit aktiv werden, wie der Anschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in Eppan im Mai und die rassistisch motivierte Gewalttat in Macerata im Februar letzten Jahren verdeutlichen. Wenn eine menschenfeindliche Ideologie auf Gewaltbereitschaft und ein Klima von Hass und Ausgrenzung trifft, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es knallt.
  • Und ja, leider, auch Ulli Mair von den Freiheitlichen hat sich zu Wort gemeldet. Für sie sind die Neonazis lediglich „20 pubertierende Rotzlöffel“, während die eigentlichen Bösewichte – „die Buben aus Afrika und anderen kulturfremden Ländern“ und die Neofaschisten im Bericht des Geheimdienstes nicht beachtet würden. Purer Ullismus: Verharmlosen, Lügen, Verdrehen. Hätte sie den Bericht tatsächlich gelesen, wüsste sie, dass dort Einwanderung auf 5 Seiten und Neofaschismus auf 3 behandelt werden – und der Südtirol-Absatz 7 Zeilen lang ist. Nur zur Erinnerung: Über ihre Arbeitsweise wurde schon einmal berichtet. Von ihrer rechtsäugigen Betriebsblindheit ganz zu schweigen.
  • Wenn rund 35 Personen der Südtiroler Neonazi-Szene bei rechtsextremen Happenings im deutschsprachigen Raum fotografiert werden, dann ist das nur die Spitze des Eisbergs: Allzu oft finden die Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, meist gibt es keine mutigen, engagierten Fotograf*innen, die die Besuchenden ablichten. Wer die aktive Szene in Südtirol zu „20 Rotzlöffel“ umdeuten will, macht das bewusst und absichtlich und trägt dazu bei, dass sie sich weiter ausbreiten kann. Dass die Freiheitlichen angesichts solcher Äußerungen in dieser Causa nicht ernst zu nehmen sind, versteht sich von selbst.
  • Nicht zu vergessen die Neofaschisten, die in Bozen in den Institutionen sitzen und erst jüngst mit einem weiteren Ableger – eine Buchhandlung – aufhorchen ließen, wie BBD berichtete.
Im Allgemeinen sollten Geheimdienstberichte stets mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnet werden. Geht es um lokale Neonazi-Strukturen, gibt es zuverlässigere Quellen – ein Beispiel hierfür das Interview mit Thomas Kobler im RAI Morgengespräch vom 6. März 2019: