In Erinnerung an Fabio Tomaselli, ermordet von Faschisten

Vor 21 Jahren wurde der 26-jährige Fabio Tomaselli in Bozen von Neofaschisten ermordet. Die Täter taten alles, um die Erinnerung an ihn und die brutale Tat in Vergessenheit geraten zu lassen. Zeit, das Schweigen zu durchbrechen.

Er war ein ruhiger und fleißiger Mensch, wird ihn sein Zwillingsbruder Ricki einmal beschreiben. Ein „immer fröhlicher Surfer und Sunnyboy“, steht es Jahre später in der Münchner Abendzeitung. Kein Wunder: Auf den wenigen Fotos von ihm, die es gab, trug er stets eine Sonnenbrille und ein Lächeln im Gesicht.

In der Stadt Pergine bei Trient, unweit des Caldonazzo-Sees, wird Fabio geboren. 26 Jahre später, an einem Dezembernachmittag, legten Angehörige und Freund:innen im Gemeindefriedhof neben der San-Carlo-Kirche Blumen auf sein Grab.

Seine Mutter Ulrike hat mit ihren Söhnen lange in Bozen gelebt, später übersiedelte sie nach München und begann für den Bayerischen Rundfunk zu arbeiten. Fabio und Ricki, der eigentlich Richard heißt, zogen als Erwachsene zurück nach Italien und lebten seitdem in Südtirol.

Am 30. November 2003 starb Fabio dort, an einer Kreuzung am Stadtrand von Bozen. In jener Stadt, in der 82 Jahre zuvor Franz Innerhofer als erster Südtiroler von Faschisten ermordet wurde.

Was wenigen bewusst ist: Fabio Tomaselli ist das erste Opfer faschistischer Gewalt in Südtirol nach 1945.

Fabio Tomaselli vor seiner Ermordung; Mutter Ulrike besucht regelmäßig sein Grab in Pergine bei Trient / Q: Dolomiten, FF

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Was ist in Bozen los? Ein Interview

Über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und den Krieg gegen die Armen in der Stadt.

Auszüge aus dem Interview mit einer involvierten Person. Das gesamte Interview, das als Übersetzung vorliegt, findet sich weiter unten.

Erstveröffentlichung (italienisch) auf olteilponte.noblogs.org.

All cops are blue. Foto: Salto.bz

In den letzten Monaten hat der Quästor Paolo Sartori
für viel Gesprächsstoff gesorgt. Was ist in Bozen los?

Der neue Polizeipräsident (Quästor) hat sein Amt in Südtirol im März letzten Jahres angetreten und von Anfang an eine sehr klare Linie vorgegeben. Er nutzt die Beziehungen zu den Medien und verfasst wortgewandte Pressemitteilungen, die von den wichtigsten Lokalzeitungen Alto Adige und Dolomiten fast kritiklos und ohne Angabe der Quelle übernommen wurden.

Was ist das Ziel des Quästors?

Durch diese permanente Medienpräsenz will er den Eindruck einer ständigen Polizeiaktivität vermitteln, denn, wie er selbst in einem Interview sagte: „Die Leute wollen blinkende Lichter sehen“.

Seine Politik scheint jedoch auf Zustimmung zu stoßen.

Sartoris Handeln ist Teil eines größeren Problems. Es wurde durch jahrelange Panikmache der großen Lokalzeitungen befruchtet. Obwohl die Zahl der Straftaten seit Jahren stetig zurückgeht, schreiben sie permanent Gefahren herbei, um so auf die Bevölkerung einwirken und sie nach Belieben beeinflussen und manipulieren zu können.

Was gibt es zu den Hintergründen noch sagen?

Der Grundgedanke, den sie vermitteln wollen, ist, dass wir in einem Belagerungszustand leben und dass gegenüber Armen, Einwanderern, Muslimen und linken politischen Aktivist:innen die derzeitigen repressiven Maßnahmen nicht ausreichen. Nach dieser Rhetorik, die den Krieg gegen die Armen schürt, ist eine Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit ihnen gegenüber rechtmäßig, ja sogar richtig, was in den Polizeistellen und Gerichtssälen tatsächlich oft geschieht.

Krieg gegen die Armen – kannst du das erklären?

Im Gegensatz zu den subalternen, d. h. unteren Klassen treffen sich diejenigen, die politische und wirtschaftliche Macht haben. Sie reden, planen Strategien und schmieden Bündnisse. Eine der größten Lügen ist zu sagen, dass der Klassenkampf vorbei ist. Das eigentliche Problem ist, dass nur die bürgerliche Klasse kämpft und ihre Interessen verteidigt.

Was kennzeichnet Sartoris Arbeit besonders?

Bevor Sartori nach Bozen kam, hörte man, zumindest in Bozen, nicht sehr oft von Präventionsmaßnahmen, und wenn es sie gab, dann erschienen sie nicht fast täglich in den Zeitungen, wie es heute der Fall ist. Sie bestehen im Wesentlichen aus der mündlichen Verwarnung, d. h. einer förmlichen Aufforderung, das Verhalten zu ändern.

Welche Repressions-Maßnahmen gibt es noch?

Die andere Maßnahme, die der Quästor von Bozen mit besonderer Freude und Leichtigkeit anwendet, ist das Stadtverbot („foglio di via“). Es ist eine Maßnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die vor der Begehung von Straftaten oder aufgrund der Annahme der sozialen Gefährlichkeit der Person greift. Mit solchen Maßnahmen spielt Sartori den Polizisten und den Richter.

Zu den Betroffenen von Sartoris Präventivmaßnahmen
gehören auch politische Aktivist:innen.

Bisher wurden fünf mündliche Verwarnungen und drei Stadtverbote gegen Südtiroler Aktivist:innen ausgesprochen. In einem Fall ist ein Genosse betroffen, der in einer Nachbargemeinde von Bozen wohnt. Durch das Stadtverbot wurde er von seiner Familie getrennt, seine Arbeitsanforderungen wurden ignoriert. Von zwischenmenschlichen Beziehungen, Freundschaften, Interessen will ich gar nicht erst reden, da Sartori mit diesen Maßnahmen genau darauf abzielt, den Genossen zu isolieren, ihn von den zahlreichen politischen Initiativen fernzuhalten.

Beunruhigend. Ist das ein neues Phänomen?

Kleine und große Übergriffe gegen Teilnehmer:innen sozialer Kämpfen gab es schon immer, insbesondere wenn sie radikale Kritik an den Zuständen und den Ungerechtigkeiten der Zeit formulieren. In diesem Rahmen stellt der „foglio di via“ eines der vielen Instrumente dar, die die repressiven Kräfte gegen diejenigen einsetzen, die Demonstrationen und Proteste organisieren und versuchen, Gegeninformationen zu liefern.

Wie kann darauf reagiert werden?

Wir leben in einer schwierigen historischen Zeit. Wir befinden uns im Krieg. Auf planetarischer Ebene finden Konflikte um die Definition oder besser gesagt, die Neudefinition wirtschaftlicher und politischer Gleichgewichte statt. Es ist kein Zufall, dass die repressiven Maßnahmen des Ausnahmezustands zu einer Zeit ergriffen werden, in der neben dem Krieg auch die sozialen Konflikte auf einem historischen Tiefstand sind.

Und was können wir tun?

Um einen Slogan auf einem Banner solidarischer Genoss:innen aufzugreifen: Die Leidenschaft für die Freiheit bleibt, keine repressiven Maßnahmen und kein Machtmissbrauch werden die antimilitaristischen Kämpfe, den Widerstand gegen Krieg, Ausbeutung und den systemischen Rassismus unseres Wirtschaftssystems aufhalten. Weiter kämpfen, Gegeninformation zu betreiben, ist die einzige Antwort. Und immer an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten bleiben.

 

GESAMTE ÜBERSETZUNG DES INTERVIEWS

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Berlin: Solidarische Grüße nach Bozen

Vor dem Carlo-Giuliani-Denkmal in Berlin versammelten sich kürzlich Menschen zu einer Soli-Aktion.

Sie solidarisierten sich mit den Menschen, die in Bozen von Repression betroffenen sind, und wollen auf die autoritären Entwicklungen aufmerksam machen.

Auf Indymedia schreiben sie:

„Wir sehen eine Anwendung des Feind-Strafrechts: Das Strafsystem und die Repressionsapparate verfolgen nicht mehr das, was man tut, sondern das Subjekt selbst, seinen politischen Weg.“

Der Hintergrund: Platzverweise, Demonstrationsverbote, Anzeigen – in Bozen gibt es eine Welle der Repression gegen linke Proteste.

Die rechts-nationalistische Landesregierung und der neue Polizeichef arbeiten Hand in Hand.

Mehr dazu: 1

Kündigung wegen Teilnahme an Protest?

Mit der bevorstehenden Entlassung von zwei Lehrern hat die politische Repression in Südtirol einen neuen Höhepunkt erreicht. Neofaschisten, deutsche Rechte und autoritäre Polizeikräfte arbeiten Hand in Hand. Im Namen von „Prävention“ und „Sicherheit“ wird Südtirol immer mehr zum Polizeistaat.

Ein Berufsverbot für kritische Stimmen – zieht Südtirol in die nächste autoritäre Runde? Seit Sartori im März die Leitung der Quästur in Bozen übernommen hat, nimmt die Repressionswelle gegen Linke, Migrant:innen, Wohnungslose und kritische Stimmen nicht ab. Im Gegenteil.

Nachdem sich mehrere Personen an feministischen und palästinasolidarischen Kundgebungen beteiligt hatten, folgten Städteverbote, sogenannte „foglie di via“: Den Personen ist es für zwei Jahre verboten, das gesamte Stadtgebiet zu betreten – eine massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Außerdem verbot Sartori willkürlich politische Veranstaltungen und sprach mündliche Verwarnungen aus, die eine sogenannte „Spezialüberwachung“ (sorveglianza speciale) nach sich ziehen können.

Das Gesetz hat seinen Ursprung in der Zeit des Faschismus. Möglich wird diese massive polizeiliche Repression, indem sich Sartori juristisch sehr weit aus dem Fenster lehnt: Er greift auf Gesetze zurück, die zur Bekämpfung mafiöser Strukturen geschaffen wurden. Nun treffen sie mit voller Härte kritische Stimmen im Land.

 

Kündigung wegen Protest? Collage Medien

Die derzeitigen Maßnahmen erinnern an dunkle Zeiten. So wurden vor wenigen Tagen zwei Pädagogen an Südtiroler Schulen die Entlassung angedroht, weil sie sich an Solidaritätsveranstaltungen für Palästina beteiligt hatten. Angestoßen hat das alles Schullandesrat und Fratelli d’ItaliaAbgeordneter Marco Galateo.

Auch Landesrätin und Freiheitliche Ulli Mair, zuständig für Prävention und Sicherheit, fällt immer wieder mit unreflektiertem Lob zur Arbeit des neuen Polizeiquästor auf. Paradoxerweise gab es bei den Freiheitlichen noch vor einigen Jahren noch das Motto Polizeistaat Südtirol – Nein danke! mit dazugehöriger Aufkleberaktion. Aber wenn es politisch unliebsame „Gegner“ oder sonstige ungewollte Personen trifft, scheint dafür ein großer Schritt Richtung Polizeistaat kein Problem zu sein. So viel dazu.

Die Polizeiquästur Bozen versendet monatlich dutzende (einsprachige) Pressemitteilungen – ganz so, als wäre sie eine Presseagentur. Salto schreibt unter anderem zum neuen Quästor Sartori:

„Eine One-Man-Show. So wie man sie von den Sheriffs in den USA kennt. Nach dem Kreuzzug für Law and Order zieht es diese dann sehr oft in die Politik.“

Kritik gibt es von vielen Seiten, sowohl an den autoritären Maßnahmen, als auch am Aufweichen der Grenze zwischen gesetzgebender und rechtssprechender Gewaltauch ein Indiz zunehmender Faschisierung. Viele Verbände, Individuen und Gruppen solidarisieren sich mit den Betroffenen. Die rechte und antidemokratische Politik Sartoris und seiner rechtsextremen Freunde wie Galateo darf nicht unwidersprochen bleiben. Getroffen hat es einige, gemeint sind wir alle.

Weiterführende Links:

Südtiroler Politiker auf Neonazi-Treffen in Wien

Am 20. Juli fand in Wien ein rechtsextremer Aufmarsch der „Identitären Bewegung“ statt. Es nahmen rund 300 Neonazis und Rechte teil, u. a. aus Portugal, Italien, der Schweiz und Deutschland. Auch Politiker der Liste JWA aus Südtirol waren dabei.
Unter der Teilnehmer:innen waren Jürgen Wirth Anderlan (Landtagsabgeordneter der Liste JWA) und Martin Scheiber (Landtagskandidat JWA, Ex-Leitung der Jungen Südtiroler Freiheit, Mitglied der Schützen Oberwielenbach). Sie demonstrierten Seite an Seite mit italienischen Neofaschisten: Auch Mitglieder der Bewegung CasaPound waren dabei.
Hunderte Antifaschist:innen blockierten den Aufmarsch der Neonazis erfolgreich. Die Rechten mussten verspätet starten und dann im Laufschritt ihre Route ändern.
Die Beteiligung am Aufmarsch blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück. „Die Identitären erreichen trotz größtmöglicher Inszenierung kaum Menschen außerhalb neonazisticher Kreise.“@IbDoku
Die JWA-Mitgleider konnten mit dem Aufruf offenbar erreicht werden.

Fotoquellen:

gruppe für organisierten antifaschismus wien
Recherchenetzwerk Berlin
Thomas Witzgall
dokunetzwerk rhein main
Pressefuchs

Zur symbolischen Aktion der Landtags-Fraktionen

Heute traten Politiker:innen von SVP, Grüne, Civica, PD und Team K in Bozen vor dem Landtag zusammen. Bei einer symbolischen Aktion hinter einer „roten Linie“ distanzierten sie sich von den Aussagen von Jürgen Wirth Anderlan.

Es ist eine leere Geste: Ihre „Brandmauer“ ist ein Schweizer Käse, ihre „roten Linien“ sind Fähnchen im Wind.

Am selben Ort protestierten Tausende gegen eine Koalition der SVP mit den neofaschistischen Fratelli. Die SVP tat es trotzdem, aus Machtkalkül, und holte die Neofaschisten in die Landesregierung.

Der SVP-Landessekretär, Harald Stauder, hat den Aufruf zur Aktion mitverfasst. Im September war er auf Kuschelkurs mit rechtsextremen Burschenschaften und hätte sie gerne zu sich nach Lana geholt.

Dass auch Fratelli und Süd-Tiroler Freiheit zur Aktion eingeladen wurden, macht aus der Tragödie eine Farce: Die einen sind in Mussolinis Fußstapfen unterwegs, die anderen folgen der Kickl-FPÖ auf ihrem rechtsextremen Kurs.

Die STF-Funktionärin Melanie Mair etwa sympathisiert offen mit dem Rechtsextremist Martin Sellner.

Umso mehr gilt: Unsere rote Linie heißt Antifaschismus. Und der ist immer noch Anti-Nationalismus plus Handarbeit.

Gedenken heißt handeln: Corinna Tartarotti – unvergessen

Vor vierzig Jahren starb Corinna Tartarotti an den Folgen der Verletzungen, die sie durch einen Neonazi-Anschlag in München erlitten hatte. Sie hatte Südtiroler Wurzeln, ihr Vater Karl war aus Bozen.

Am 27. April 1984 erlag die 20-Jährige Corinna Tartarotti ihren schweren Verletzungen, die sie beim Brandanschlag der neonazistischen „Gruppe Ludwig“ am 7. Januar auf den Club Liverpool in München erlitten hatte.

Die Neonazi-Gruppe ermordete mindestens 15 Menschen in Italien und Deutschland, die nicht in ihr Weltbild passten.

15 Menschen wurden von der „Gruppe Ludwig“ ermordert

Am Abend des 7. Januar 1984 warfen die Neonazis Wolfgang Abel und Marco Furlan Benzinkanister in den Club „Liverpool“ in München.

Unter den Gästen und Angestellten brach Panik aus. Acht Menschen wurden verletzt, so auch Corinna Tartarotti, die an der Bar gearbeitet hatte.

Sie zog sich so schwere Verletzungen zu, dass sie ihnen drei Monate nach dem Anschlag, am 27. April 1984, erlag.

Die Neonazis griffen das Tanzlokal mit Benzinbomben an.

Gedenken heißt handeln. Rechtem Terror muss auf gesellschaftlicher Ebene der Nährboden entzogen werden.

Gleichzeitig sind wir mit jenen solidarisch, die zum Ziel rechter Täter:innen werden. Kein Vergeben – kein Vergessen.

Mehr dazu: ASAM – Antisexistische Aktion München
Fotoquellen: Privat/SZ, Martin Maurer

Rechtsextreme Gewalt im „Hexenkessel“: Übergriff auf Urlauber:innen

Gewalt, Hitler-Grüße und verbale Angriffe durch Neonazis – und Security-Mitarbeiter, die sich auf die Seite der Angreifer stellen: Diese Erfahrung machte eine Gruppe junger Sportler:innen aus Deutschland, die zum Ski-Urlaub nach Südtirol gekommen war.

Die Vorfälle ereigneten sich am Donnerstag, 28. März 2024, beim Skigebiet Klausberg im Ahrntal. Die rund 60 jungen Teilnehmer:innen einer „Skifreizeit“ aus Deutschland waren für eine Wintersportwoche ins Ahrntal gekommen. Im „Almpub Hexenkessel“ in Steinhaus wurden sie von einer Gruppe Rechtsextremer bedrängt und körperlich angegriffen. Der Aprés-Ski-Club befindet sich neben der Talstation des Skigebiets.

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Sellner und der Christchurch-Massenmörder

51 Menschen starben bei dem Anschlag 2019. Foto: Twitter

Martin Sellner soll Südtirol besuchen, geplant ist ein Treffen in kleiner Runde. Man rede mit jedem, so der Landtagsabgeordnete Jürgen Wirth Anderlan (Liste JWA). Nur: Sellner ist ein international vernetzter Rechtsextremist. Er unterhielt beispielsweise Kontakte zum Rechtsterrorist Brenton Tarrant, der vor fünf Jahre 51 Menschen erschossen hat.

Am 15. März 2019 erschießt der Rechtsextremist Brenton Tarrant in Christchurch in Neuseeland 51 Menschen. Sie hatten sich gerade zum Gebet versammelt, wie jeden Freitag. Dutzende werden verletzt. Das jüngste Todesopfer, Mucad, war 3 Jahre alt.

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Gegen Vertreibungs-Fantasien und rassistische Realpolitik

Die geplante Einladung des Neonazis Martin Sellner nach Südtirol ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die in den letzten Monaten für den Erhalt der Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Sellner ist ein umtriebiger Rechtsextremist, der in seiner Jugend Hakenkreuz-Aufkleber an Synagogen anbrachte und später die Identitäre Bewegung Österreichs anführte, eine „rechtsextreme Jugendorganisation mit faschistischen Anklängen“, wie das Dokumentationszentrum DÖW festhält. Heute wirbt er offen für „Remigration“.

Hinter „Remigration“ verbirgt sich ein brutaler Vertreibungsplan: Millionen Menschen sollen aus ihrer Heimat verjagt werden, um die faschistische Fantasie eines „reinen Europas“ zu verwirklichen (mehr dazu hier).

Vielen Südtiroler:innen dürfte das bekannt vorkommen: Wir haben schon mehrfach erlebt, was es bedeutet, wenn Rechte, Nazis und Faschisten ihre Vertreibungs-Fantasien in die Tat umsetzen: Die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Südtirol führte zur Option von 1939, die das Land zerrissen hat.

Die Offenheit von Jürgen Wirth Anderlan (Liste JWA) oder auch Melanie Mair (Süd-Tiroler Freiheit) – siehe hier und hier – für die „Remigrations“-Pläne von Sellner sind ein Alarmsignal. Es ist nichts anderes als eine Option 2.0, die sie herbeisehnen. Wieder sollen Menschen anhand ihrer Sprache, Hautfarbe oder Herkunft sortiert und zwangsweise und massenhaft vertrieben werden.

Offenbar geht ihnen die durch und durch rassistische Realpolitik der Parteien der „bürgerlichen Mitte“ nicht weit genug. Wir dürfen bei aller Empörung über rechte Wahnvorstellungen nicht die Politik der Abschottung und Ausgrenzung vergessen, die in der EU mittlerweile zum Alltag gehört. Rassismus ist keineswegs nur ein Problem von rechtsextremen Organisationen, sondern war schon immer auch in der Mitte der Gesellschaft verankert.

Angesichts der eskalierenden Klimakrise und der damit einhergehenden Migrationsbewegungen ist es endlich an der Zeit, sich der Verantwortung zu stellen: Sichere Fluchtrouten müssen organisiert und begleitet werden, um dem Sterben an den EU-Außengrenzen entgegenzuwirken.

Wer von einem Südtirol ohne sogenannte „Ausländer“ träumt, jagt einem Phantom hinterher, das es nie gegeben hat. Treten wir gemeinsam der rechtsextremen Blut-und-Boden-Ideologie entgegen, egal ob sie sich in gekämmten Seitenscheitel oder langem Vollbart präsentiert.