75 Jahre Befreiung – Geschichten des Widerstands
75 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus wollen wir jeden Monat eine Geschichte des Widerstands erzählen. Sich erinnern heißt für uns auch historisch Verantwortung übernehmen und Lehren daraus ziehen. Erinnern heißt kämpfen. Erinnern heißt auch deswegen kämpfen, weil es immer weniger Zeitzeug*innen geben wird und immer mehr Stimmen, die mit „diesem Kapitel“ abschließen wollen. Aber antifaschistischer Widerstand ist kein historisches Event. Es ist eine tägliche politische Praxis die es gilt aufrecht zu erhalten. Es bedeutet im Hier und Jetzt nicht hinzunehmen, wenn die Würde von Menschen mit Füßen getreten wird; kritisch zu betrachten wo autoritäre und menschenverachtende Ideologien in der Mitt e der Gesellschaft Platz finden.
Um die Erinnerung aufrechtzuerhalten, wollen wir Geschichten von Menschen erzählen, die uns Beispiel sein können und Inspiration. Und die uns Mut machen niemals aufzugeben. Die erste inspirierende Geschichte von Widerstand handelt von der Partisanin Helena Kuchar. Die österreichische Antifaschistin hatte sich in Kärnten den Partisan*innen angeschlossen und mutig und unerschrocken gegen den Faschismus gekämpft.
Jelka – Helena Kuchar
Die Kärtner Slowenin Helena Kuchar bewies Mut und Stärke. Als einfache Magd und vierfache Mutter – ihr Mann an der Front – hat sie sich den Kärtner Partisan*innen angeschlossen. Das Porträt einer starken Frau und Antifaschistin.
„Verschwiegene Bäume.
Verschworener Wald.
Und drei rote Pfiffe, drei rote Pfiffe,
im Wald.“
Die Band Schmetterlinge besingen in ihrem Lied „Drei rote Pfiffe“ von 1979 das Leben und Wirken der Partisanin Helena Kuchar. Als Kärtner Slowenin wurde Helena mit 23 mit dem Zimmermann und Sozialisten Peter Kuchar zwangsverheiratet. In ärmlichen Verhältnissen zog sie ihre drei Kinder groß, nachdem ihr Mann 1940 eingezogen wurde war sie sogar ganz auf sich alleine gestellt. Als die Nazis immer mehr slowenische Familien aus Kärnten deportierten, schlossen sich viele von ihnen den Partisan*innen an, die ab 1942 in den Kärntner Wäldern die Faschist*innen bekämpften.
1943 gebar Helena, nun mit dem Partisaninnenname „Jelka“, ihre Tochter Bredica. In der selben Zeit wurde Jelkas Schwägerin ins KZ Ravensbrück deportiert und ihr Bruder kämpfte bereits als Partisane in den Bergen.
Jelka zog auf dessen verlassenen Hof und versorgte von dort die Partisanen und Partisaninnen mit Lebensmitt eln, Kleidung und Informati onen. Sie war im illegalen Ortsausschuss der Befreiungsfront OF tätig und hatte vor allem die Aufgabe die Bevölkerung mit Gegeninformationen aufzuklären. Sie verteilte Flugzettel und nahm an klandestinen anti faschistischen Konferenzen teil. Wenn Nazis anmarschierten hängte Jelka ein rotes Tuch aus ihrem Fenster, um die Parti san*innen zu warnen.
Sowohl ihr 15-jähriger Sohn, als auch ihre beiden Neffen (12 und 14 Jahre) schlossen sich 1944 den Widerstandskämpfer*innen an. Im selben Jahr organisierte Jelka ein Treffen von Antifaschist*innen in Eisenkappel und Lepena. Die Menschen auf dem Treffen wurden verraten, Jelka jedoch gelang es in das Savinia-Tal im damaligen Jugoslawien zu fliehen. Dort besuchte sie die kommunistische Parteischule und lernte, die Bevölkerung auf den antifaschistischen Kampf vorzubereiten.
Nach einer Großoffensive der Nazis auf das befreite Gebiet floh Jelka erneut und traf auf der Velika Planina (Große Alm) ihren Sohn und ihre Neffen wieder, wo sie dem bitteren Winter trotzten. Anschließend wurde Jelka von der OF Völkermarkt wieder aufgerufen ihre Tätigkeiten als Widerstandskämpferin fortzusetzen.
Als der Partisanenbunker am Obir fiel, wurde in Jelkas Haus die Einrichtung eines neuen Bunkers geplant. Die Partisan*innen wurden jedoch verraten und verhaftet. Jelka kam ins Gestapo-Hauptquartier nach Klagenfurt, wo sie brutal gefoltert wurde.
Von ihrer Gefangenschaft erzählte Jelka:
„Ich rappelte mich auf und begrüßte meine Zellengenossinnen, ein gutes Dutzend Frauen. Sonst gab es nichts in der Zelle als einen Eimer mit einem Deckel. Nachts legten wir uns frierend auf den nackten Betonboden. Der Raum war so eng, dass wir dicht gedrängt wie Sardinen nebeneinander lagen. (…) Aber wenn die Nacht einbrach, konnten wir das Brummen der Tiefflieger kaum erwarten. Bis in unser finsteres Verließ brachten sie die Nachricht vom baldigen Ende der Naziherrschaft . Dann hörten wir schon [,] wie in der Stadt die Sirenen aufheulten und wie die Gestapoleute mit Gepolter die Treppe in den Luftschutzbunker hinunterrannten. Die Flieger näherten sich und warfen ihre Bombenlast ab, dass die Gefängnismauern zitterten. Wir aber freuten uns und sangen ein kleines Lied, das ich zusammengebastelt hatt e (…).“
Nach Kriegsende kam Jelka frei. Auch ihre Kinder und ihr Mann überlebten die Gräueltaten des Nationalsozialismus. Jelka kämpfte auch nach 1945 unerbittlich für Gerechtigkeit und gegen den Faschismus. 1985 starb sie.
Die Schmett erlinge schließen ihr Lied mit einer Mahnung ab:
„Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm
die alten, die kalten Berichte?
Jetzt trampeln sie wieder auf euren Rechten herum –
erinnert euch meiner Geschichte!“
Und so erinnert uns das mutige Leben Jelkas auch an unsere Verantwortung: Erinnern heißt auch kämpfen. Es ist verbunden mit einer Verantwortung, die historisch aus diesen Widerständen erwächst. Eine Verantwortung nicht zuzulassen, wenn rechte und menschenfeindliche Ideologien salonfähig werden. Die Verantwortung hinzusehen, wenn ein überhöhtes „Wir“ und ein abgewertetes „die Anderen“ konstruiert werden.
„Ieri partigiani, oggi antifascisti “ – Gestern Partisan*innen, heute Antifaschist*innen sollte keine leere Phrase werden, sondern Grundlage historischen Gedenkens sein. Geschichte ist kein in sich geschlossener Raum, der sich von außen betrachten lässt. Geschichte ist sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart. Diese Gegenwart begründet sich auf der Geschichte und aus dem was wir daraus machen.