Was ist in Bozen los? Ein Interview

Über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und den Krieg gegen die Armen in der Stadt.

Auszüge aus dem Interview mit einer involvierten Person. Das gesamte Interview, das als Übersetzung vorliegt, findet sich weiter unten.

Erstveröffentlichung (italienisch) auf olteilponte.noblogs.org.

All cops are blue. Foto: Salto.bz

In den letzten Monaten hat der Quästor Paolo Sartori
für viel Gesprächsstoff gesorgt. Was ist in Bozen los?

Der neue Polizeipräsident (Quästor) hat sein Amt in Südtirol im März letzten Jahres angetreten und von Anfang an eine sehr klare Linie vorgegeben. Er nutzt die Beziehungen zu den Medien und verfasst wortgewandte Pressemitteilungen, die von den wichtigsten Lokalzeitungen Alto Adige und Dolomiten fast kritiklos und ohne Angabe der Quelle übernommen wurden.

Was ist das Ziel des Quästors?

Durch diese permanente Medienpräsenz will er den Eindruck einer ständigen Polizeiaktivität vermitteln, denn, wie er selbst in einem Interview sagte: „Die Leute wollen blinkende Lichter sehen“.

Seine Politik scheint jedoch auf Zustimmung zu stoßen.

Sartoris Handeln ist Teil eines größeren Problems. Es wurde durch jahrelange Panikmache der großen Lokalzeitungen befruchtet. Obwohl die Zahl der Straftaten seit Jahren stetig zurückgeht, schreiben sie permanent Gefahren herbei, um so auf die Bevölkerung einwirken und sie nach Belieben beeinflussen und manipulieren zu können.

Was gibt es zu den Hintergründen noch sagen?

Der Grundgedanke, den sie vermitteln wollen, ist, dass wir in einem Belagerungszustand leben und dass gegenüber Armen, Einwanderern, Muslimen und linken politischen Aktivist:innen die derzeitigen repressiven Maßnahmen nicht ausreichen. Nach dieser Rhetorik, die den Krieg gegen die Armen schürt, ist eine Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit ihnen gegenüber rechtmäßig, ja sogar richtig, was in den Polizeistellen und Gerichtssälen tatsächlich oft geschieht.

Krieg gegen die Armen – kannst du das erklären?

Im Gegensatz zu den subalternen, d. h. unteren Klassen treffen sich diejenigen, die politische und wirtschaftliche Macht haben. Sie reden, planen Strategien und schmieden Bündnisse. Eine der größten Lügen ist zu sagen, dass der Klassenkampf vorbei ist. Das eigentliche Problem ist, dass nur die bürgerliche Klasse kämpft und ihre Interessen verteidigt.

Was kennzeichnet Sartoris Arbeit besonders?

Bevor Sartori nach Bozen kam, hörte man, zumindest in Bozen, nicht sehr oft von Präventionsmaßnahmen, und wenn es sie gab, dann erschienen sie nicht fast täglich in den Zeitungen, wie es heute der Fall ist. Sie bestehen im Wesentlichen aus der mündlichen Verwarnung, d. h. einer förmlichen Aufforderung, das Verhalten zu ändern.

Welche Repressions-Maßnahmen gibt es noch?

Die andere Maßnahme, die der Quästor von Bozen mit besonderer Freude und Leichtigkeit anwendet, ist das Stadtverbot („foglio di via“). Es ist eine Maßnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die vor der Begehung von Straftaten oder aufgrund der Annahme der sozialen Gefährlichkeit der Person greift. Mit solchen Maßnahmen spielt Sartori den Polizisten und den Richter.

Zu den Betroffenen von Sartoris Präventivmaßnahmen
gehören auch politische Aktivist:innen.

Bisher wurden fünf mündliche Verwarnungen und drei Stadtverbote gegen Südtiroler Aktivist:innen ausgesprochen. In einem Fall ist ein Genosse betroffen, der in einer Nachbargemeinde von Bozen wohnt. Durch das Stadtverbot wurde er von seiner Familie getrennt, seine Arbeitsanforderungen wurden ignoriert. Von zwischenmenschlichen Beziehungen, Freundschaften, Interessen will ich gar nicht erst reden, da Sartori mit diesen Maßnahmen genau darauf abzielt, den Genossen zu isolieren, ihn von den zahlreichen politischen Initiativen fernzuhalten.

Beunruhigend. Ist das ein neues Phänomen?

Kleine und große Übergriffe gegen Teilnehmer:innen sozialer Kämpfen gab es schon immer, insbesondere wenn sie radikale Kritik an den Zuständen und den Ungerechtigkeiten der Zeit formulieren. In diesem Rahmen stellt der „foglio di via“ eines der vielen Instrumente dar, die die repressiven Kräfte gegen diejenigen einsetzen, die Demonstrationen und Proteste organisieren und versuchen, Gegeninformationen zu liefern.

Wie kann darauf reagiert werden?

Wir leben in einer schwierigen historischen Zeit. Wir befinden uns im Krieg. Auf planetarischer Ebene finden Konflikte um die Definition oder besser gesagt, die Neudefinition wirtschaftlicher und politischer Gleichgewichte statt. Es ist kein Zufall, dass die repressiven Maßnahmen des Ausnahmezustands zu einer Zeit ergriffen werden, in der neben dem Krieg auch die sozialen Konflikte auf einem historischen Tiefstand sind.

Und was können wir tun?

Um einen Slogan auf einem Banner solidarischer Genoss:innen aufzugreifen: Die Leidenschaft für die Freiheit bleibt, keine repressiven Maßnahmen und kein Machtmissbrauch werden die antimilitaristischen Kämpfe, den Widerstand gegen Krieg, Ausbeutung und den systemischen Rassismus unseres Wirtschaftssystems aufhalten. Weiter kämpfen, Gegeninformation zu betreiben, ist die einzige Antwort. Und immer an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten bleiben.

 

GESAMTE ÜBERSETZUNG DES INTERVIEWS

In den letzten Monaten hat der Quästor Paolo Sartori für viel Gesprächsstoff gesorgt. Was ist in Bozen los?

Der neue Quästor (d. h. Polizeipräsident) hat sein Amt in Südtirol im März letzten Jahres angetreten und von Anfang an eine sehr klare Linie vorgegeben. Er nutzt die Beziehungen zu den Medien und verfasst wortgewandte Pressemitteilungen, die von den wichtigsten Lokalzeitungen Alto Adige und Dolomiten fast kritiklos und ohne Angabe der Quelle übernommen wurden. Sie gehören beide zur Verlagsgruppe Athesia. Deren Geschäftsführer Michl Ebner, ehemaliger SVP-Abgeordneter und Mitglied des Europäischen Parlaments, ist aufgrund seiner Fähigkeit, die öffentliche Debatte und damit die politische Realität zu bestimmen und zu beeinflussen, einer der mächtigsten Männer Südtirols.

Kannst du mehr ins Detail gehen.

Sartori hat in Zeitungen und Medien eine hyper-präsente Politik betrieben, seine Telefonleitung zu den lokalen Medien ist heiß. Ständige Pressemitteilungen, in denen den Redaktionen Artikel diktiert werden, die bereits moralisierende Urteile enthalten. Zudem ist in jeder Nachricht ein Kommentar des Quästors zitiert. Durch diese permanente Medienpräsenz will er den Eindruck einer ständigen Polizeiaktivität vermitteln, denn, wie er selbst in einem Interview sagte: „Die Leute wollen blinkende Lichter sehen“.

Seine Politik scheint jedoch auf Zustimmung zu stoßen.

Sartoris Handeln ist Teil eines größeren Problems. Es wurde durch jahrelange Panikmache der großen Lokalzeitungen befruchtet. Obwohl die Zahl der Straftaten seit Jahren stetig zurückgeht, schreiben sie permanent Gefahren herbei, um so auf die Bevölkerung einwirken und sie nach Belieben beeinflussen und manipulieren zu können. Die Angst und ihre Intensität können je nach den politischen Erfordernissen konstruiert und reguliert werden.

Man denke an Politiker wie Matteo Salvini und die Lega, an Giorgia Meloni und Journalisten wie Sallusti oder Belpietro, an die Fernsehsendungen von network4, an die Talkshows von Mario Giordano oder Paolo Del Debbio: Der Grundgedanke, den sie vermitteln wollen, ist, dass wir in einem Belagerungszustand leben und dass gegenüber Armen, Einwanderern, Muslimen und linken politischen Aktivist:innen die derzeitigen repressiven Maßnahmen nicht ausreichen. Angesichts einer atomisierten Bevölkerung voller Ängste, die oft politisch ungebildet ist, in der viele Menschen allein sind und die Realität nicht verstehen können, ist der Sicherheits-Notstand ein Joker, der es ihnen erlaubt, auf außergewöhnliche repressive Maßnahmen zurückzugreifen, die auf politischer Ebene eine solide Basis der Zustimmung garantieren.

Nach dieser Rhetorik, die den Krieg gegen die Armen schürt, ist eine Aussetzung der Rechtsstaatlichkeit ihnen gegenüber rechtmäßig, ja sogar richtig, was in den Polizeistellen und Gerichtssälen tatsächlich oft geschieht. Natürlich gibt es diese empörte Wut nicht, wenn ein Politiker der Lega Nord, wie im Fall von Voghera, einen obdachlosen Ausländer tötet, oder wenn eine Geschäftsfrau in Viareggio freiwillig einen Algerier tötet, der sie kurz zuvor überfallen hatte. Empörung und Nulltoleranz variieren je nach Ziel und vor allem nach Einkommen und Hautfarbe des Täters. Nachsicht für die Reichen und für diejenigen, die massenhaft Geld stehlen (z.B. die Lega mit 49 Millionen Euro), während es für die Armen Knast, Medienhetze und Hass gibt.

Was gibt es dazu noch zu sagen?

Wahrscheinlich gehört es zu den Ritualen eines jeden Quästors, aber im Fall von Sartori ist seine Anwesenheit bei öffentlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen, seine Fotos, auf denen er Politikern und Geschäftsleuten die Hand schüttelt, von besonderer Bedeutung. Um eine Freundschaft oder ein gemeinsames Interessenverständnis zu besiegeln, nahm Sartori im vergangenen Juli an einer Party im Schloss der Familie Ebner (Eigentümerin von 80 % der regionalen Medien) in Prissian teil.

Ein eindeutig unangemessener Auftritt.

Vielleicht sind wir ein wenig naiv, was die Ausübung von Macht angeht. Viele glauben blauäugig, dass es eine Unabhängigkeit der verschiedenen Formen der Macht gibt, in der jeder seine Funktionen unparteiisch ausübt. In Wirklichkeit bewegen sich die Männer und Frauen an der Macht im selben Umfeld, einschließlich in der Freizeit und Kultur.

Die Proletarier:innen sind heute tief gespalten und sich verstricken in Kriegen zwischen den Armen, die von den bürgerlichen Medien angeheizt werden. Im Gegensatz zu den subalternen Klassen treffen sich diejenigen, die die politische und wirtschaftliche Macht innehaben, miteinander, sie reden, diskutieren, entwerfen Strategien und Bündnisse. Eine der schlimmsten Lügen ist die Behauptung, der Klassenkampf sei ein Werkzeug der Vergangenheit. Das Problem ist, dass die einzige Klasse, die kämpft und ihre Interessen verteidigt, die Bourgeoisie ist. Das Sicherheitsdekret 1660, das im Parlament verabschiedet wird – was ist es, wenn nicht ein Akt des Klassenkampfes der Bourgeoisie? Was ist es, wenn nicht eine Kriegserklärung an die Arbeiter:innen und Proletarier:innen? Das Parlament verabschiedet Gesetze, die die Kampfmittel der Arbeiter schwächen oder auslöschen, und dann erledigen die Polizei und Quästoren wie Sartori die „Drecksarbeit“ des Schikanierens, Knüppelns, Verhaftens und Denunzierens.

Wir lesen in der Zeitung, dass Todesdrohungen gegen Sartori ausgesprochen wurden.

Hier zeigt sich die Orwellsche Fähigkeit der Medien, die Bedeutung von Worten und die Realität von Fakten zu manipulieren und zu verdrehen. Eine Fähigkeit, auf die die Macht heute mit besonderer Intensität zurückgreift, angesichts der Kriege und des Völkermords, die wir erleben. Als Antwort auf diese Frage müssen wir auf einen Punkt zurückkommen, der bereits angesprochen wurde: Die Macht besteht nicht aus wasserdichten Abteilungen. Ihre Protagonisten treffen sich, sprechen miteinander, entwickeln Strategien. Seit einigen Tagen und Wochen erleben wir einen wahnsinnigen Medienzirkus wegen eines Aufklebers, der an einem Laternenpfahl angebracht wurde (auf dem stand: „Sartori, wir stoßen an, wenn du stirbst“) und der von einer Instagram-Seite weiterverbreitet wurde. Kein Mensch, der Italienisch spricht und versteht, kann diesen Satz als Bedrohung empfinden, auch wenn ich weiß, dass es in Italien einen fortschreitenden Analphabetismus gibt, auf den Politiker seit Jahren erfolgreich spekulieren.

Auch hier kommen wir wieder auf ein schwerwiegendes Problem unserer Zeit zurück, nämlich die Verzerrung der Realität durch die Medien, die offensichtlich keinen unparteiischen Blick auf die Fakten haben, sondern von konkreten wirtschaftlichen und politischen Interessen geleitet werden. Der Bozner Abgeordnete der Fratelli d’Italia, Alessandro Urzì, ging sogar so weit, eine parlamentarische Anfrage zu dieser erfundenen Tatsache zu stellen! Offensichtlich ist diese Medienkampagne auch das Ergebnis einer präzisen Strategie, um eine öffentliche Figur zu schaffen, eine Art vom Himmel gefallener Sheriff, der endlich der Bevölkerung das Gefühl (so die Worte Ulli Mairs, Landesrätin) zurückgegeben hat, dass die Polizei handelt.

Wir leben in Zeiten, in denen die Verzerrung der Realität das tägliche Brot der großen Wirtschafts- und Verlagskonzerne ist. Es gelingt ihnen, den Völkermord am palästinensischen Volk als legitime Antwort Israels darzustellen, das nach Ansicht der verschiedenen Experten im Sold des Kapitals „das Recht hat, sich zu verteidigen“. Der jüngste Terroranschlag der israelischen Streitkräfte im Libanon wurde von den wichtigsten nationalen Zeitungen als „Hacking“ oder „Hoax“ bezeichnet. Selbst angesichts eindeutiger Fakten sind sie in der Lage, Lügen zu fabrizieren, und es braucht nicht viel, um einen Aufkleber in eine Todesdrohung zu verwandeln: Sie haben das Geld, die Mittel und die Fähigkeit, die Realität so zu gestalten und zu verändern, wie sie wollen. Das Problem ist, dass selbst Politiker, Polizeikräfte und Staatsanwälte aus der Verfälschung der Realität oft Konsequenzen ziehen, die das Leben der Menschen gewaltsam beeinflussen: zunehmend repressive Gesetze, Denunziationen, Durchsuchungen. Lassen Sie uns fortfahren.

Was kennzeichnet Sartoris Arbeit besonders?

Die skrupellose Anwendung von Präventivmaßnahmen.

Können Sie, bevor Sie ins Detail gehen, erklären, was Präventionsmaßnahmen sind?

Bevor Sartori nach Bozen kam, hörte man, zumindest in Bozen, nicht sehr oft von Präventionsmaßnahmen, und wenn es sie gab, dann erschienen sie nicht fast täglich in den Zeitungen, wie es heute der Fall ist.

Präventionsmaßnahmen sind Maßnahmen administrativer Art, die darauf abzielen, die Begehung von Straftaten durch Personen zu verhindern, die als sozial gefährlich gelten.

Sie bestehen im Wesentlichen aus der mündlichen Verwarnung, d. h. einer förmlichen Aufforderung, das Verhalten zu ändern: Sie ist die Voraussetzung für die Beantragung einer besonderen Überwachung durch das Polizeipräsidium, die wegen der besonderen Beeinträchtigung der Freiheit der Person nur von einem Richter angeordnet werden kann.

Die andere Maßnahme, die der Quästor von Bozen mit besonderer Freude und Leichtigkeit anwendet, ist das Stadtverbot. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme, die im italienischen Rechtssystem uralte Ursprünge hat, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und unter dem Namen „Haft“ bekannt sind und in der Zeit des Faschismus gegenüber Regimegegnern weit verbreitet waren. Der obligatorische Reisebefehl ist nun in Artikel 2 des Gesetzesdekrets 159/2011, besser bekannt als Gesetz zur Bekämpfung der Mafia und zur Vorbeugung von Straftaten, vorgesehen. Es ist eine verwaltungsrechtliche Maßnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die vor der Begehung von Straftaten oder aufgrund der Annahme der sozialen Gefährlichkeit der Person greift.

Die Anwendung des „foglio di via“ setzt lediglich voraus, dass der Quästor im Rahmen einer vorausschauenden Beurteilung und nicht „auf der Grundlage von Tatsachen“ zu der Auffassung gelangt, dass der Betroffene Verhaltensweisen an den Tag legt, die dem allgemeinen Begriff der sozialen Gefährlichkeit zuzuordnen sind. In der Tat befinden wir uns in der Welt der Voraussicht und der Phantasie, die auf die polizeilichen Maßnahmen angewandt werden.

Kurzum, der Quästor verfügt über einen maximalen Ermessensspielraum und ist niemandem Rechenschaft schuldig.

Genau, mit solchen Maßnahmen spielt Sartori den Polizisten und den Richter. Vor allem im Fall des „foglio di via“ (Stadtverbot) handelt es sich um eine Maßnahme, die die persönliche Freiheit stark einschränken kann, sofortige Wirkung hat und sehr ernste Probleme für das Leben der Betroffenen mit sich bringt. Die Kriterien, nach denen er angewandt wird, sind sehr allgemein gehalten, ebenso wie die Beurteilung der sozialen Gefährlichkeit. Aus der Sicht eines äußerst begriffsstutzigen und eifrigen Quästors wie Sartori ist es klar, dass jeder, der soziale Kämpfe organisiert oder daran teilnimmt, ein Problem für die öffentliche Ruhe darstellt und daher in seinen Augen zumindest potenziell sozial gefährlich ist. Was die systematische Kriminalisierung abweichender Meinungen angeht, sind sich der Quästor und die derzeitige Regierung einig: Schläge, Denunziationen, Haftstrafen und Präventivmaßnahmen für alle, die protestieren oder sich an selbstorganisierten Kämpfen von unten beteiligen.

Auf die Frage der politischen Repression wollte ich später zurückkommen. Wer sind in Bozen die Adressaten dieser Stadtverbote?

Der ärmste und marginalste Teil der Gesellschaft: Einwanderer, Obdachlose. Es wurden mehrere Fälle von Arbeitnehmer:innen bekannt, die gezwungen waren, in irregulären Verhältnissen zu leben, und die ein Stadtverbot erhalten haben. Das sind Menschen, gegen die Sartori leichtes Spiel hat: Er kann eine Pressemitteilung schreiben, die von ihm unterzeichneten Präventivmaßnahmen vorzeigen und so Artikel in der Zeitung bekommen. Mir gefällt der Ausdruck, den Sie vor einiger Zeit in Ihrem Blog verwendet haben, sehr gut: Haben die Leute Hunger? Gebt ihnen einen Sartori, der Präventivmaßnahmen gegen die Armen, die Ausgegrenzten und die Dissidenten unterschreibt. Das ist die Realität.

In den letzten Monaten wurde in den Zeitungen immer wieder über Straftaten berichtet, die von ausländischen Staatsbürgern begangen wurden, und es wurden immer wieder die gleichen Schlussfolgerungen gezogen: Der Quästor hat die Einleitung eines Verfahrens zum Entzug der Aufenthaltsgenehmigung angeordnet oder sie wurden in das CPR (Abschiebezentrum) in Gradisca d’Isonzo oder das CPR in der Via Corelli in Mailand eingewiesen. In vielen Fällen handelt es sich bei den Tätern um sehr junge Personen, die für Bagatelldelikte, Ladendiebstähle oder wenig mehr verantwortlich sind. Offensichtlich reicht ihnen eine Anzeige oder Verhaftung nicht aus. Es muss ein Übermaß an Strafe verhängt werden. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die CPR echte Lager sind, schwarze Löcher, in die man nicht hineingelangen kann und von denen man nur sehr schwer Nachrichten erhält. Orte der Verzweiflung, die schlimmer sind als Gefängnisse, wo es keine Möglichkeit gibt, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, und wo Selbstverletzungen und der Missbrauch von Psychopharmaka an der Tagesordnung sind. Diese Teile der Realität werden von den Medien, die die öffentliche Meinung in der Provinz Bozen prägen, natürlich nicht berichtet.

Auf einer Pressekonferenz erklärte Sartori, dass im Falle von Unregelmäßigkeiten immer die Möglichkeit besteht, Berufung einzulegen.

Sartori spielt mit dem Leben der Menschen. Das ist kein Brett- oder Fußballspiel. Der Zynismus, mit dem er das sagt, ist wirklich widerlich. Um eine Antwort auf die Berufung zu erhalten, vergehen Monate, in denen eine Person in einer Art Schwebezustand lebt. Hinzu kommt, dass die Präfektur (im Trentino das Regierungskommissariat) oft nicht einmal auf die Berufungen reagiert, während das regionale Verwaltungsgericht (TAR) exorbitante Kosten und lange Fristen hat. In jedem Fall, insbesondere bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen wie Stadtverbote, sind die Unannehmlichkeiten extrem hoch. Es versteht sich daher von selbst, dass nur wenige die wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen haben, um ein solches Verfahren zu durchlaufen, einen Anwalt zu suchen usw.

Zu den Betroffenen von Sartoris Präventivmaßnahmen gehören auch politische Aktivisten.

Ja, bisher wurden fünf mündliche Verwarnungen und drei Stadtverbote gegen Südtiroler Aktivist:innen ausgesprochen, zu denen noch zwei verschärfte mündliche Verwarnungen hinzukommen. Nach einer Solidaritätsdemonstration mit dem palästinensischen Volk im vergangenen Mai erließ der Quästor (Polizeipräsident) gegen einen Genossen aus Rovereto einen vierjähriges Stadtverbot für Bozen, und zwar nicht wegen der Taten, die er begangen hatte oder die ihm vorgeworfen wurden, sondern allein wegen seiner politischen Einstellung und damit wegen einer, wie Sartori es nennen würde, „sozialen Gefährlichkeit“.

Nach einer Protestdemonstration gegen die Anti-Abtreibungsgebete der Bewegung für das Leben vor dem Krankenhaus in Bozen unterzeichnete Sartori zwei Stadtverbote an Genossen, die im Eisacktal wohnten, während nach einem kurzen Grußwort in Solidarität mit den Gefangenen im Bozener Gefängnis (die einen Protest gegen die unzumutbaren Bedingungen im Gefängnis begonnen hatten, um das Gemetzel der Selbstmorde in italienischen Gefängnissen anzuprangern) das dritte Stadtverbot gegen einen Genossen verhängt wurde, der in einer Nachbargemeinde von Bozen wohnte. Dieser letzte Fall ist besonders bezeichnend für den Modus Operandi des Quästors: Mit der Unterzeichnung des Stadtverbots hat Sartori nicht nur zahlreiche Unwahrheiten und Realitätsverfälschungen in das Dokument geschrieben, sondern auch den in der Gemeinde Bozen wohnhaften Genossen von seiner Familie getrennt und seine Arbeitsanforderungen ignoriert. Von zwischenmenschlichen Beziehungen, Freundschaften, Interessen will ich gar nicht erst reden, da Sartori mit diesen Maßnahmen genau darauf abzielt, den Genossen zu isolieren, ihn von den Demonstrationen und zahlreichen politischen Initiativen (insbesondere gegen den Krieg und den Völkermord am palästinensischen Volk), die seit einiger Zeit in der Stadt Bozen stattfinden, fernzuhalten. Und wohlgemerkt, das ist nicht meine Interpretation, sondern genau das, was der Quästor in dem Dokument schreibt. Kurz gesagt, er wendet das Strafrecht des Feindes buchstabengetreu an.

Aber wie ist es möglich, eine Person allein auf der Grundlage ihres Werdegangs zu bestrafen?

Auch hier kommen wir wieder auf die persönlichen Einschätzungen des diensthabenden Quästors zurück. Im Fall von Sartori, dessen Ausbildung wahrscheinlich bei den Büchern von Cesare Lombroso aufgehört hat, versucht er, eine Art „endlose Bestrafung“ anzuwenden. Für ihn reicht es nicht aus, dass eine Person ihre Strafe verbüßt oder ihre Geldstrafe bezahlt hat. Er verfolgt sie weiter und verhängt den Entzug der Fahrerlaubnis allein auf der Grundlage früherer Verurteilungen. In mehreren Fällen berichtete die Tageszeitung Alto Adige über Stadtverbote gegen Männer ausländischer Herkunft, die sich allein auf die Herkunft der Betroffenen und die Tatsache stützten, dass sie „keinen triftigen Grund hatten, sich in der Stadt aufzuhalten“. Auch hier sind wir im Bereich der absoluten Willkür und der Risiken einer so großen Macht, die einem Mann ohne jedes Gleichgewicht übertragen wird, um es gelinde auszudrücken.

Wie ist es mit verschärften mündlichen Verwarnungen?

Auch hier hat er Maßnahmen aus dem Hut gezaubert, von denen wir wissen, dass es in Italien kaum Präzedenzfälle gibt, zumindest nicht gegen politische Aktivisten. Wie im Anti-Mafia-Gesetzbuch vorgesehen, wird der Besitz oder die Verwendung von „Computerprogrammen und anderen Instrumenten zur Verschlüsselung oder Verschlüsselung von Gesprächen und Nachrichten“ verboten. In einem Fall wird vorgeschlagen, dass das Gericht für zwei Jahre den Besitz oder die Verwendung von Handys verbietet. Für den anderen wird vorgeschlagen, den Besitz oder die Nutzung von Mobiltelefonen, anderen mit dem Internet verbundenen Geräten und jeder Art von sozialen Netzwerken für zwei Jahre zu verbieten. Bei wiederum einem anderen wird, um ihm auch die Nutzung alten, nicht mit dem Internet nicht verbundener Handys zu verbieten, heißt es direkt und ohne Einschaltung des Gerichts, dass der Besitz oder die Nutzung von „Smartphones, Tablets, Laptops, die Datenverbindungen über WI-FI oder mit SIM-Karte ermöglichen“, untersagt wird. Dabei ist das letztgenannte Verbot nicht befristet, sondern möglicherweise lebenslang. Bei Verstößen gegen das Verbot drohen „Freiheitsstrafen von einem bis drei Jahren“ sowie Geldstrafen in Höhe von mehreren Tausend Euro und die Beschlagnahme der Geräte, die „der Polizei übergeben“ werden.

Wurden Gründe für diese Maßnahmen genannt?

Ja, wie immer muss man das Wörterbuch benutzen, um die Sprache der Polizei ins Italienische zu übersetzen. Wieder einmal sind wir Zeuge einer wissenschaftlichen und diesmal systematischen Verzerrung der Realität durch Sartori und die politische Polizei von Bozen zu ihrem eigenen Nutzen.

Im ersten Fall geht es um die Verbreitung von beleidigenden Botschaften gegen den Quästor (die von der Polizeibehörde selbst und den ihr zuarbeitenden Zeitungen in „Todesdrohungen“ umgewandelt werden) und allgemein gegen das „Establishment“ (das als „subversiv“ definiert wird) sowie um die Pflege von Kontakten mit Genossen aus dieser und anderen Provinzen. Im zweiten Fall geht es um die „Organisation“ von Demonstrationen und den „telematischen Aufruf“ dazu, wobei „systematisch“ gegen die Vorschriften des Polizeipräsidiums verstoßen und Straftaten begangen würden: Praktisch ist das Polizeipräsidium der Ansicht, dass die Organisation und die Bekanntmachung von Initiativen, die auch regelmäßig im Voraus angekündigt wurden, Teil eines kriminellen Plans sind, den es jedoch nicht vor Gericht zu beweisen braucht, indem es direkt „Maßnahmen ergreift, die geeignet sind, die Fähigkeit zur Begehung von Straftaten zu verringern“.

Beunruhigend.

Kleine und große Übergriffe gegen Teilnehmer:innen sozialer Kämpfen von Quästoren und eifrigen Bürokraten gab es schon immer, insbesondere wenn sie radikale Kritik an den Zuständen und den Ungerechtigkeiten der Zeit formulieren. Um nur einige Fälle aus der jüngsten Vergangenheit zu nennen, gibt es zahllose Haftbefehle gegen No-Tav-Aktivisten in Valsusa oder gegen die Aktivisten der Extinction Rebellion, deren Kämpfe systematisch von der Polizei kriminalisiert werden, mit maßgeblicher Unterstützung von Politikern und Medien, die mit den großen Wirtschaftsmächten verbunden sind. Selbst der triestinische Aktivist Stefano Puzzer wurde im Rahmen der Mobilisierungen gegen den Grünen Pass von zwei Stadtverboten getroffen. Das heißt, dass Sartori auch in einem klaren politischen Klima agiert, in dem bestimmte Subjekte mit bestimmten politischen Identitäten zu bestimmten Zeiten verfolgt, gestoppt, ja „eingedämmt“ werden müssen, wie Sartori selbst in einer von ihm unterzeichneten Maßnahme schreibt. In diesem Rahmen stellt der „foglio di via“ eines der vielen Instrumente dar, die die repressiven Kräfte gegen diejenigen einsetzen, die Demonstrationen und Proteste organisieren, versuchen, Gegeninformationen zu liefern usw. Übersetzt in die Sprache der Quästoren bedeutet diese Tätigkeit „sozial gefährlich“ oder „eine Gefahr für die öffentliche Ruhe“ zu sein. Das Mindeste, was getan werden kann, ist sicherlich, diesen Machtmissbrauch öffentlich anzuprangern, damit er nicht in der Versenkung verschwindet.

Sie haben vorhin das Strafrecht des Feindes erwähnt. Was ist das?

Das Feindstrafrecht oder Täterstrafrecht ist eine Theorie des deutschen Juristen Gunther Jakobs, die erstmals 1985 formuliert wurde. Nach dieser Theorie gliedert sich das Strafrecht der heutigen demokratischen Gesellschaften in zwei Bereiche: das normale Strafrecht, das auf die Unterdrückung von Verstößen abzielt, die von „normalen“ Rechtssubjekten begangen werden, und das Feindstrafrecht, das auf bestimmte soziale Kategorien abzielt, die an sich (unabhängig von Straftaten oder Verstößen) abweichend sind. Um diese wirklichen „Feinde der Gesellschaft“ zu unterdrücken und zu neutralisieren (die von den Medien und den Politikern je nach politischem Bedarf konstruiert werden, wobei es sich in der Regel immer um Einwanderer:innen, sogenannte Zigeuner:innen oder linke politische Aktivist:innen handelt), kann man von den typischen Regeln des „Rechts“ (und seinen wenn auch begrenzten, willkürlich anwendbaren Garantien) abweichen und typische Regeln des „Krieges“ anwenden, um den Gegner zu neutralisieren. Die Logik des Staatsfeindes, der wenn nicht physisch, so doch zumindest aus dem öffentlichen Raum zu eliminieren ist, ist auch der Ursprung einer Reihe von repressiven Mitteln wie dem „foglio di via“, der mündlichen Verwarnung usw.

Wir lesen, dass Sartori auch Demonstrationen verboten hat.

Sartori hat Demonstrationen zwar nicht formell verboten, aber durch seine repressiven Maßnahmen hat er Vorschriften formuliert, die darauf abzielten, diese Initiativen zu begrenzen, einzudämmen und stark zu unterdrücken. Ich denke an die von den Aktivist:innen gegen den Verkehr in Gröden, eine organisierte Fahrradtour der Umweltschützer:innen, die Sartori auf einem Parkplatz festsetzen ließ, oder an die antimilitaristische Pride im vergangenen Juni, dessen Umzug ebenfalls durch die Festsetzung auf einem bis zur Unzumutbarkeit militarisierten Platz verhindert wurde. Auf diese Weise kann Sartori mit der üblichen billigen Rhetorik behaupten, er habe das Demonstrationsrecht aller geschützt, während er in Wirklichkeit alles in seiner Macht Stehende getan hat, um den Initiativen Sichtbarkeit und Einfluss zu nehmen. Diese Maßnahmen werden zur Abwechslung einmal offiziell mit dem Vorwand der Sicherheit gerechtfertigt. Andererseits wurden unter dem Vorwand, die Sicherheit zu gewährleisten, auch Kriege und Völkermorde geführt, warum also nicht auch eine Demonstration tatsächlich absagen?

Ist man sich dieser Probleme in der Stadt überhaupt bewusst?

In den letzten Monaten, vor allem nach der Reihe von Polizeimaßnahmen gegen Genoss:innen, haben sogar die unabhängigen lokalen Medien, die nicht mit den lokalen Wirtschafts- und Medienkonzernen verbunden sind, öffentlich Kritik an der Arbeit der Polizeibehörde geübt. Dann sind natürlich die vielen Menschen solidarisch, mit denen wir seit Jahren gemeinsame Wege des Kampfes gehen, in Bozen, aber nicht nur.

Was soll man darauf antworten?

Wir leben in einer schwierigen historischen Zeit. Wir befinden uns im Krieg. Auf planetarischer Ebene finden Konflikte um die Definition oder besser gesagt, die Neudefinition wirtschaftlicher und politischer Gleichgewichte statt. Vom Krieg zwischen der NATO und Russland in der Ukraine bis zum anhaltenden Völkermord im Gazastreifen, wo Israel seine 1948 begonnene ethnische Säuberung des palästinensischen Volkes beschleunigt, und dem Konflikt, der nach den jüngsten terroristischen Aktionen des israelischen Staates im Libanon offen auszubrechen droht.

Während der Krieg zunehmend die Staatshaushalte und die Wirtschaftspolitik der verschiedenen Regierungen im Inland bestimmt, rüstet sich die italienische Bourgeoisie mit dem Sicherheitsdekret 1660 mit beispiellosen repressiven Instrumenten aus, um jede Form von Dissens und sozialen Konflikten im Keim zu ersticken, angefangen bei den Gefängnissen und den Gefangenenlagern, also bei dem marginalsten und unsichtbarsten Teil der Gesellschaft.

Es ist kein Zufall, dass die repressiven Maßnahmen des Ausnahmezustands zu einer Zeit ergriffen werden, in der neben dem Krieg auch die sozialen Konflikte auf einem historischen Tiefstand sind.

Um einen Slogan auf einem Banner solidarischer Genoss:innen aufzugreifen: Die Leidenschaft für die Freiheit bleibt, keine repressiven Maßnahmen und kein Machtmissbrauch werden die antimilitaristischen Kämpfe, den Widerstand gegen Krieg, Ausbeutung und den systemischen Rassismus unseres Wirtschaftssystems aufhalten. Weiter kämpfen, Gegeninformation zu betreiben, ist die einzige Antwort. Und immer an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten bleiben.